Interview mit Bertrand Piccard Fliegen mit der Kraft der Sonne

Bertrand Piccard hat ohne einen einzigen Tropfen Treibstoff den Globus umrundet. Im Interview spricht er über den Flug, Atomkraft, "Star Trek" und sein nächstes Ziel.

Interview mit Bertrand Piccard: Fliegen mit der Kraft der Sonne
Foto: Revillard/Initiativkreis MG

Das erste ungeheuerliche Versprechen macht Bertrand Piccard, bevor sein Glas mit Mineralwasser gefüllt ist.

Das Flugzeug, das ihn aus Zürich herbrachte, habe tonnenweise Kerosin verbrannt und Abgase in die Luft geblasen, sagt der 59-jährige, und in seine sanfte Stimme mischen sich Ungeduld und Ärger. "In zehn Jahren werden Flugzeuge mit 50 Passagieren diese Strecke rein elektrisch fliegen", prophezeit er dann.

"Nehmen Sie das Gespräch auf?", fragt er dann mit einem charmanten französischen Akzent, der an Lucien Favre erinnert. "Ja? Sehr gut. Dann kann ich schneller sprechen."

Monsieur Piccard, was ist das größte Missverständnis über Ihre Person?

Piccard Viele sehen bloß die Oberfläche. Nur die Abenteuer, nicht deren Botschaft. Wenn Sportler "nur" nach Ruhm und Rekorden jagen, wird das nicht kritisiert - warum eigentlich? Mir wird das manchmal vorgeworfen, aber zu Unrecht. Mein Ziel ist, erneuerbare Energien mit positiven Emotionen zu verbinden. Dieses Thema interessiert die Leute nur, wenn etwas sehr Spektakuläres damit verbunden ist. Meine Weltumrundung im Heißluftballon 1999 hat mir ermöglicht, die viel schwierigere im Solarflugzeug anzugehen.

Damit führen Sie eine Familientradition fort.

Piccard Exakt. Mein Großvater ist mit einem Ballon in die Stratosphäre aufgestiegen, 16 Kilometer hoch, um zu beweisen, dass Flugzeuge mit Druckkabinen viel Treibstoff sparen können, weil die Luft dort oben dünner ist. Und als mein Vater zum tiefsten Punkt des Meeresbodens tauchte, auf 10.989 Meter, tat er das, um zu beweisen, dass es dort Leben gibt - sodass dort kein Atommüll entsorgt werden konnte, wie es geplant war.

Es gibt noch einen vierten berühmten Picard, wenn auch mit einem "c"...

Piccard Natürlich! (lacht) Jean-Luc Picard, der Nachfolger von Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise, ist inspiriert von Jean-Felix Piccard, einem Chemiker, dem Zwillingsbruder meines Großvaters. "Star Trek" ist in den USA sehr populär, in Europa ist vielleicht Professor Bienlein aus "Tim und Struppi" bekannter, eine Karikatur meines Großvaters.

Wie hat sich all das auf Sie ausgewirkt, wie schwer war es, mit diesem Namen aufzuwachsen?

Piccard Von außen habe ich natürlich viel Druck gespürt, aber innerhalb meiner Familie war es ganz normal. Mein Vater hat stets gesagt: "Mach, was du willst! Ich verlange nur, dass du es gut machst - und mit Pioniergeist." So habe ich dem Erwartungsdruck standgehalten, bin nicht Ingenieur oder Physiker geworden wie mein Vater und Groß-vater, sondern habe Medizin studiert und als Psychiater praktiziert.

Wie schaffen es Ihre Frau und Ihre drei Töchter, aus Ihrem Schatten zu treten?

Piccard Sie stehen nicht in meinem Schatten! Sie reisen mit mir, lernen sehr viel, wir machen viel gemeinsam. Meine Frau sagt immer: "Ich stehe nicht hinter dir, sondern neben dir." Bei "Solar Impulse" hat Michèle in der Kommunikation gearbeitet. In der Öffentlichkeit stand ich als das Gesicht und die Stimme dieses Projekts. Aber es war Team-arbeit, hunderte Menschen haben hart dafür gearbeitet. Hans-Joachim Wüstemann etwa, der hier aus Mönchengladbach stammt, war verantwortlich für die Elektrik und hat uns entscheidend weitergeholfen. Beim Start, als es um alles ging, live vor Fernsehkameras aus aller Welt. Und immer wieder davor und danach.

Flug über den Big Apple
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Foto: dpa, ay

Was für ein Kind waren Sie? Mutig, sportlich, selbstbewusst wie heute?

Piccard Im Gegenteil. Ich war so ängstlich, dass ich nicht einmal auf einen Baum klettern konnte. Diese Angst habe ich behandelt, indem ich mich in das Drachenfliegen gestürzt habe. Konfrontationstherapie! Sie hat sehr gut funktioniert; als 16-Jähriger bin ich mit meinem Hängegleiter tausende Meter über der Erde geflogen. Das hat mir gezeigt, dass Menschen riesiges Potenzial haben, wir alle! Wir nutzen es bloß oft nicht.

Wer waren Ihre Helden?

Piccard Forscher, Piloten und Astronauten, die ich kennenlernte, als meine Familie zwei Jahre lang in Florida lebte. Den Start der Apollo-Missionen durfte ich mit Männern wie Charles Lindbergh erleben, der als Erster den Atlantik überflogen hatte. Sie nahmen sich Zeit für den zehnjährigen Jungen, der ich war. Sie erklärten mir, was sie tun und warum sie es tun. Ich spürte: Das waren keine Superhelden und keine Verrückten, sondern Menschen, die Träume hatten und dafür arbeiteten, diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Menschen mit großer Leidenschaft und viel Pioniergeist - aber ganz normale Menschen.

Apropos normale Menschen: Wie oft wurden Sie für Ihre Vision von einem Flugzeug ohne Treibstoff ausgelacht ?

Piccard Alle Luftfahrt-Experten haben gesagt, es sei unmöglich. Doch die Grenzen des Möglichen liegen oft nur im Kopf. Wir sind Gefangene unserer Überzeugungen und Gewohnheiten. Das verhindert Kreativität und Innovation. Wir müssen viel davon über Bord werfen wie Ballast aus einem Ballon. So können wir die Flughöhe ändern und uns in andere Richtungen bewegen.

Was für ein Gefühl hatten Sie beim Flug — und bei der Landung?

Piccard In der Luft war es traumhaft; von oben sehen Sie kaum Umweltverschmutzung, keine Armut, keine Menschenrechtsverletzungen. Über unsere schöne Erde hinwegzuschweben, in einem zwei Tonnen leichten Flugzeug, nur mit der Kraft der Sonne, zwischengespeichert für die Nächte, alles ohne Abgase, ohne Lärm, das hat sich angefühlt wie die Zukunft. Die Landung nach 42.438 Kilometern war frustrierend, wie ein Eintauchen in die Vergangenheit. Die Gegenwart auf der Erde fühlt sich an wie die Vergangenheit. Genau darin leben wir leider.

Woran machen Sie das fest?

Piccard Am Dieselmotor zum Beispiel. Wir wissen, dass Abgase giftig sind. Es ist kriminell, weiter auf den Diesel zu setzen in dem Wissen, dass er Tausende krank macht und tötet. Der Klimawandel ist ja nicht das einzige Problem. Auch aus gesundheitlichen Gründen ist es total verrückt, so viele Abgase zu produzieren.

Wie stehen Sie zur Atomkraft?

Piccard Ich bin kein Grüner, wissen Sie. Ich bin nicht dogmatisch für oder gegen Atomkraft. Aber alles in allem ist sie heute teurer als erneuerbare Energien aus Wind- und Sonnenkraft oder Biomasse - außerdem brauchen wir sie schlicht nicht mehr. Die Hälfte der Energie, die wir produzieren, verpufft, weil wir veraltete Technologien nutzen, Glühlampen zum Beispiel und ineffiziente Heizungen. Seit ich das Dach unseres Hauses gedämmt und unsere alte Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt habe, verbrauchen wir zwei Drittel weniger! In diese Richtung müssen wir uns bewegen. Die alten Kämpfe sind nutzlos, Ökologie und Ökonomie dürfen kein Gegensatz mehr sein. In den Ländern, die eine CO2-Steuer eingeführt haben, ist die Industrie dankbar dafür. Weil die Unternehmen so gezwungen sind, innovativer, wettbewerbsfähiger zu werden.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Piccard "Solar Impulse" ist noch nicht abgeschlossen. Die Weltumrundung war nur die erste Hälfte des Projekts. Unser nächstes Ziel ist, 1000 Lösungen für Energie- und Umweltprobleme zu sammeln, die sich schon profitabel einsetzen lassen. Jeder, der am Sinn des Projekts zweifelt, wird noch staunen!

Das Gespräch führte Tobias Jochheim.

(tojo)
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