Super-Teilchenbeschleuniger LHC vor dem Start Das größte Experiment der Welt

Genf · Morgen startet der Super-Teilchenbeschleuniger LHC unter Schweizer und französischem Boden. Mehr als 10000 Wissenschaftler aus 100 Nationen rütteln an den Grundfesten der Materie. Sie suchen nach dem Ursprung der Masse und allen Seins.

Der Teilchenbeschleuniger LHC
22 Bilder

Der Teilchenbeschleuniger LHC

22 Bilder

Morgen startet der Super-Teilchenbeschleuniger LHC unter Schweizer und französischem Boden. Mehr als 10 000 Wissenschaftler aus 100 Nationen rütteln an den Grundfesten der Materie. Sie suchen nach dem Ursprung der Masse und allen Seins.

Es ist eine neue Ära, die morgen anbricht — wenn das europäische Kernforschungszentrum Cern nahe Genf die ersten Teilchen in einem 27 Kilometer langen Ring auf 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Inzwischen sind mehr als 10 000 Wissenschaftler aus 100 Nationen an diesem größten Experiment der Menschheit beteiligt, das griffig als LHC abgekürzt wird — für "Large Hadron Collidor".

Und Hadronen, das sind die Teilchen aus denen Atomkerne aufgebaut sind. So wie beispielsweise die positiv geladenen Protonen. Sie sind es, die 50 bis 175 Meter unter der Erde innerhalb von 20 Minuten auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden und den LHC-Ring 11 245 Mal pro Sekunde durchlaufen. Dann erst werden sich zwei der Teilchen-Strahlen kreuzen.

Um das möglich zu machen, wurde der LHC-Ring leer gepumpt: Die Luftdichte ist zehnmal niedriger als auf der Oberfläche des Mondes. Die 1232 Magnete, die den Teilchenstahl auf Kurs halten, mussten zudem innerhalb mehrerer Wochen auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Das ist noch kälter als im erdnahen Weltraum. Aber nur dann setzt die Supraleitung ein, verschwindet der elektrische Widerstand und lässt sich ein Magnetfeld erzeugen, das die Protonen im Zaum hält. Ohne diese extreme Kühlung würde der Ring einen Umfang von mindestens 120 Kilometer haben und 40-mal mehr Strom als die prognostizierten 800 Millionen kWh pro Jahr verbrauchen.

Dabei reicht die Energie in den Magneten schon jetzt aus, um 50 Tonnen Kupfer zu schmelzen. Und jedes Mal, wenn die Teilchenstrahlen aufeinanderzurasen, wird so viel Energie frei, als ob zwei 400 Tonnen schwere Züge mit jeweils 150 km/h zusammenstoßen würden. Auf einem Raum, der eine Milliarde mal kleiner als ein Zug ist. Das klingt nach viel. Tatsächlich aber verteilt sich diese Energie auf 600 Millionen Protonen-Kollisionen pro Sekunde.

Genug, um die Teilchen auseinanderzureißen. Von den elementaren Trümmern, die dabei entstehen, erhoffen sich die Physiker bahnbrechende Erkenntnisse. Vor allem geht es ihnen um die Entdeckung des "Gottesteilchens”. So wird das Higgs-Boson genannt: Es ist 100 bis 200 Mal schwerer als ein Proton und existiert nur für eine unglaublich kurze Zeit — nämlich weniger als ein Millionstel eines Milliardstels einer Milliardstel Sekunde.

Und doch soll es genau das Teilchen sein, das unsere Welt zusammenhält. Denn das bisher bewährte Standard-Modell der Physik kann etwas Grundlegendes nicht erklären: die Masse der Atome und damit des gesamten Universums. Oder warum die vielen Teilchen so unterschiedliche Massen haben. Der schottische Physiker Peter Higgs hatte dazu bereits 1964 eine Theorie entwickelt: Alles bewegt sich in einer Art "Sumpf", dem Higgs-Feld. Manche Teilchen gleiten buchstäblich darin, andere waten schwerfällig hindurch.

Ein Effekt, der sich als Masse niederschlägt und durch das Higgs-Boson vermittelt wird. Wie eine Art Kette, die bei leichten Teilchen lockerer sitzt, bei schweren dagegen stramm. Nur einmal alle vier bis fünf Stunden soll ein Higgs-Boson im LHC seine Spuren hinterlassen. Es wird Detektiv-Arbeit sein, sie in dem Wust an Daten zu entdecken.

Ähnliches gilt für die Supersymmetrie: Zurzeit teilt sich die Welt in Materieteilchen wie Elektronen und Protonen auf. Daneben existieren aber noch "Kraft-Vermittler”. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass gleiche elektrische Ladungen sich abstoßen. Doch dieses Kastensystem im Teilchen-Kosmos möchte man aufheben. Zu jedem Grundbaustein der Materie müsste es dafür aber einen superschweren Partner geben, der als Kraft-Vermittler auftritt. Dann wäre das Universum mit nur einem Teilchensystem erklärbar.

Zudem könnte das auch das Rätsel der "Dunklen Materie" im Universum lösen: Im Weltall scheint es mehr Masse zu geben, als die Vielzahl an Sonnen hergibt. Der Grund dafür könnten die superschweren Partner der bekannten Teilchen sein — die so schwer sind, das sie bisher nicht nachgewiesen werden konnten.

Das LHC geht aber siebenmal weiter als jeder bisher gebaute Teilchenbeschleuniger. Und sogar darüber hinaus: Nicht nur Protonen, sondern auch Blei-Kerne sollen kollidieren, um Zustände zu erzeugen, wie sie nur kurz nach dem Urknall — der Geburt unseres Universums — geherrscht haben. Der Ursprung allen Seins könnte so wie in einem Mikroskop unter die Lupe genommen werden.

(RPMANTEL)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort