Interview mit DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner "Flugzeuge der Zukunft werden sehr viel leiser"

Johann-Dietrich Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), stellt im Gespräch mit unserer Redaktion die Pläne für ein neues Lärmforschungszentrum vor und erklärt, warum es Probleme beim Start zweier Galileo-Satelliten gegeben hat.

 Das Bild des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zeigt ein 3D-Modell eines Flugzeugs der Zukunft.

Das Bild des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zeigt ein 3D-Modell eines Flugzeugs der Zukunft.

Foto: DLR

Sie wollen am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die bundesweite Lärmforschung zusammenführen. Warum?

Wörner Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Flugzeugen und der Planung und dem Bau von Flughäfen werden die Lärmschutzfragen immer wichtiger. Wir haben hier inzwischen einiges an Expertise erworben. Uns ist aufgefallen, dass es in Deutschland zwar viel Lärmschutz-Kompetenz gibt, aber noch niemanden, der diese Kompetenz gezielt zusammengeführt hat.

Was haben lärmgeplagte Flughafen-Anwohner davon?

 DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner sprach mit uns über Fluglärm, Zukunftsvisionen und die Kosten der europäsichen Raumfahrt.

DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner sprach mit uns über Fluglärm, Zukunftsvisionen und die Kosten der europäsichen Raumfahrt.

Foto: DPA

Wörner Es geht uns nicht nur um Fluglärm sondern um jeglichen Verkehrslärm. Also auch um den Lärm, der vom Straßen- und Schienenverkehr ausgeht. Wir sind sicher, wenn wir das Wissen zu dem Thema sortieren und die Fragestellungen bündeln, kann die Lärmschutz-Forschung bei gleichem Aufwand mehr Lösungen und Techniken entwickeln als beim bisherigen Nebeinander.

Haben Sie ein Anwendungsbeispiel?

Wörner Ja, viele. Im Umfeld der Flughäfen Leipzig und Frankfurt/Main haben wir zum Beispiel geholfen, faire Obergrenzen für die Lärmbelastung der Anwohner zu finden. Auch wurden am Frankfurter Flughafen auf Basis unserer Forschungen neue An- und Abflugverfahren eingeführt. Die Flugzeuge landen jetzt in einem steileren Anflugwinkel. Deshalb fliegen sie für längere Zeit in größerer Höhe, was die Belastung am Boden merklich verringert. Das klingt trivial, konnte aber nach komplexen Prüfungen erfolgreich umgesetzt werden.

Haben Sie auch schon Flugzeuge leiser gemacht?

Wörner Ja. Beim Airbus 320, einem der am häufigsten eingesetzten Passagierflugzeuge überhaupt, gibt es unter der Tragfläche eine kleine Öffnung zur Entlüftung des Tanks. Diese Öffnung wirkt im Flug wie eine Pfeife. Wir haben die Öffnung mit einem Wirbel-Generator versehen, der Pfeifton ist weg.

Der Flughafen Düsseldorf will in Kürze mehr Flugbewegungen genehmigt bekommen. Ein Kunde für Sie?

Wörner Wir sind bereit. Wir haben einen ganzen Instrumentenkasten für das, was dort wirksam werden kann. Bei Flughäfen in Ballungsräumen kann man zum Beispiel den Lärm durch an- und abfliegende Maschinen damit verringern, indem man diese gezielt Ortschaften umfliegen lässt. Ein Verfahren, welches wir auf dem Forschungsflughafen in Braunschweig erprobt und das in Frankfurt auch schon eingesetzt wird. Ja, wir können auch den Flughafen in Düsseldorf leiser machen.

Ab wann und wie soll ihr neues Lärmforschungs-Zentrum arbeiten?

Wörner Wir starten im Herbst. Unsere Leitthemen sind die Entstehung, die Wirkung und die Vermeidung von Lärm. Dazu koordinieren wir die Forschung und schließen Lücken. Koordination und Kommunikation sind unsere zentralen Dienstleistungen, für die wir zunächst nur drei Mitarbeiter brauchen. Die übrigen Lärmforscher, Techniker, Ökonomen und Mediziner, die wir für dieses Vorhaben benötigen, gibt es ja im DLR bereits. Wir müssen deren Ergebnisse zusammenführen und ihnen helfen, zueinander zu finden. Deshalb können wir ebenso kostengünstig wie effizient arbeiten. Wir schließen im Grunde nur eine Lücke zum Wohle der Gesellschaft.

Wie sieht das Flugzeug der Zukunft aus?

Wörner Die Flugzeuge der Zukunft werden sehr viel leiser sein. Die Triebwerke werden vermutlich über den Tragflächen sitzen, so dass die Tragflächen schon einen Teil des Schalls schlucken. Die Tragflächen können nach vorne statt wie heute nach hinten gepfeilt sein, was weitere positive Lärmwirkungen bringen kann. Die Spalten an den Auftriebshilfen, den Landeklappen werden immer kleiner und eventuell mit flexiblen Materialien geschlossen, weil jeder Spalt im Flug Krach verursacht. Auch bei den Fahrwerken wird man glattere und bündigere Konstruktionen sehen, die lärmerzeugende Luftwirbel reduzieren oder gar vermeiden. All das ist heute schon möglich. Auch so genannte "Nur-Flügler", die gar keinen Rumpf mehr haben werden, sind als Passagierflugzeuge denkbar. Dafür muss die Infrastruktur der Flughäfen neu ausgelegt werden. Ein Thema mit dem sich das DLR ebenfalls beschäftigt.

Wann profitieren die Menschen am Boden davon?

Wörner Das hängt davon ab, in welchem Rhythmus die Fluggesellschaften auf neue Flugzeugentwicklungen zurückgreifen. Selbst wenn Boeing oder Airbus ein lärmoptimiertes Modell anbieten würden, heißt das ja noch nicht, dass die Fluggesellschaften es auch kaufen. Kurzum: Ich weiß es nicht.

Europa will sich mit einem eigenen Navigationssystem vom amerikanischen GPS-System unabhängig machen. Soeben wurden aber zwei Galileo-Satelliten in eine falsche Umlaufbahn geschickt. Was ist da passiert?

Wörner Die Satelliten fliegen zu hoch, zu elliptisch und in einem falschen Winkel zum Äquator. Wir müssen jetzt sehen, ob sie für das Projekt noch zu retten sind. Erst danach wissen wir, wie groß der finanzielle Schaden ist. Der Fehler ging wohl von der russischen Trägerrakete aus, die die Satelliten ins All transportiert hat. Aber die genaue Ursache ist noch unklar. Im schlimmsten Fall kann es sein, dass wir in Zukunft einen anderen Raketentyp einsetzen müssen.

Die Amerikaner verfügen über Trägerraketen, die Russen ebenso und sogar die Chinesen. Wozu braucht Europa noch eine eigene Raumfahrt?

Wörner Weil Europa einen eigenen, unabhängigen Zugang zum Weltall haben will. Unsere "Ariane 5" ist sehr zuverlässig und hat mit zehn Tonnen eine hohe Nutzlast-Kapazität. Sie ist gut für eine schwere oder zwei leichtere Frachten. Aber im internationalen Vergleich ist die Ariane zu teuer. Wir überlegen, ob wir nun eine neue Ariane mit noch größerem Nutzlastpotenzial entwickeln in der Hoffnung, damit günstigere Transporte anbieten zu können.

Wie teuer ist die europäische Raumfahrtorganisation ESA?

Wörner Der Jahresetat beträgt mehr als vier Milliarden Euro, etwa 23 Prozent davon finanziert Deutschland.

Was haben die Bürger davon?

Wörner Ohne die Raumfahrt gäbe es keine Satelliten-Navigation, keine globale Kommunikation, keine Erdbeobachtung, schlechtere Wetterprognosen und auch Forschungsergebnisse zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden gegen Bluthochdruck und Osteoporose würden uns fehlen. Es ist nicht mehr möglich, alle Produkte und Erkenntnisse einzeln aufzuzählen, die wir der Raumfahrt verdanken. Ob all das den Aufwand wert ist, wird jeder unterschiedlich beantworten. Aus meiner Sicht hat die Menschheit zur Forschung in der Schwerelosigkeit und Erforschung des Weltraums gar keine Alternative, da Raumfahrt längst Infrastruktur für das tägliche Leben geworden ist.

(rei)
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