Klassik Grandseigneur am Klavier: Claudio Arrau

Das 20. Jahrhundert hat zahllose Pianisten mit hervorstechenden Neigungen, Eigenschaften und Marotten erlebt. Besonders kundige Musikfreunde gaben an, sie könnten einen Musiker nach wenigen Takten blind identifizieren. Tatsächlich war das bei Glenn Gould, Friedrich Gulda, Wladimir Horowitz, Artur Schnabel oder Arturo Benedetti Michelangeli oft möglich. Es gab indes auch Musiker, die jenseits der Attitüden für die höhere Reinheit des Spiels einstanden und nicht den Rückzug ins Ich reklamierten.

Einer von ihnen war der 1903 geborene und 1991 gestorbene chilenischer Pianist Claudio Arrau. Er verkörperte eine geradezu schlackenlose Virtuosität, war aber das Gegenteil des Schaustellers. Vielmehr war er vorrangig am Notentext interessiert und nicht an dem, was man mit Kulissenzauber aus ihm machen konnte. Wer ein großes Werk der Klavierliteratur von Arrau gespielt hörte, erlebte sozusagen die gereinigte, die pure Version. In diesen Tagen wird die Sony im Rahmen ihrer groß angelegten Klavierserie mit den kompletten Album-Aufnahmen von RCA Victor und Columbia auch diesen großen Pianisten porträtieren; auf zwölf CDs begegnen wir Arrau in verschiedenen Schattierungen und auch mit Werken, die man gar nicht in seinem breiten Repertoire vermutet hätte.

Ganz vorn in dieser 12-CD-Box mit Produktionen aus den 40er und frühen 50er Jahren stehen die Klassiker, etwa das nervöse c-Moll-Klavierkonzert Beethovens (mit dem Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy), das rassige Schumann-Klavierkonzert a-Moll (mit demselben Team aus Philadelphia) oder eine großartig ritterliche Einspielung des Klavierkonzerts Nr. 1 Es-Dur von Franz Liszt (in einer famosen Aufnahme aus Detroit von 1944). Das ist nobles, männliches, kraftvolles, unverkitschtes Klavierspiel.

Darüber hinaus stellt sich Arrau auch als intelligenter Bach-Interpret vor (in den "Goldberg-Variationen"); sein Ravel ist hellsichtig, sein Mozart klar, sein Beethoven temperamentvoll. Seine Sicht auf die Chopin-Préludes überwältigt durch ihre textnahe Verbindlichkeit. Famos: die selten gespielte und von Arrau sozusagen gerettete Strauss-Burleske.

(RP)
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