Lübeck Deutschland nimmt Abschied von Grass

Lübeck · Zur großen Gedenkfeier reiste gestern geballte Politprominenz nach Lübeck, darunter Bundespräsident Joachim Gauck.

Günter Grass: Prominente bei Trauerfeier in Leipzig
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Prominente bei der Trauerfeier von Günter Grass in Leipzig

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Foto: dpa, dbo hpl

Wahrscheinlich ist das die älteste Grass-Zeichnung von Oskarchen, dem widerspenstigen Blechtrommler. Und Gerhard Schröder kann seinen Blick kaum lassen vom farbig gestrichelten Ur-Oskar. "Ein väterlicher Freund" sei ihm Grass gewesen, sagt der Altkanzler leise. Es ist Schröders stille, fast unbeachtete Abschiedsrunde im Günter-Grass-Haus zu Lübeck, das so heißt, seit die Stadt 2002 dort ein Museum für den Literaturnobelpreisträger eingerichtet hat. Mitten in der Altstadt in einem schicken Bürgerhaus von 1320.

Gleich hinter dem Garten grenzt das Willy-Brandt-Haus an. Für Brandt schlug das politische Herz des Autors derart heftig, dass er einst wahlkämpferisch vor allem für ihn sein "Es-Pe-De-Trömmelchen" rührte. Wer dann noch ein paar Schritte weiter geht, steht bald vor dem Buddenbrock-Haus von Thomas Mann. Im kleinen Lübeck also lässt sich der Grass-Kosmos aufspüren, zwischen deutscher Ostpolitik und deutscher Weltliteratur.

Und nun will Lübeck offiziell Abschied nehmen von dem Berühmten, der vor knapp einem Monat 87-jährig starb. Dabei war Günter Grass gar kein richtiger Sohn der Stadt. Mitte der 90er Jahre war er von Berlin nach Behlendorf gezogen. Das ist ein kleines Nest, eine halbe Autostunde von der Hansestadt entfernt.

Doch bevor es im Theater zu Lübeck auch im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck staatsfeierlich zugehen wird, treffen sich prominente Weggefährten erst einmal im sonnigen Innenhof des Museums. Mario Adorf geht sofort auf Tuchfühlung und berührt die von Grass geschaffene riesige Bronze-Skulptur des Butt; der Schauspieler muss sich recken, um die Spitze zu erreichen. Und dann erzählt er von den Dreharbeiten zur "Blechtrommel" und wie Grass dazugestoßen sei und dauernd Vorschläge gemacht habe. Ganz nützliche, sagt Adorf. Nur Volker Schlöndorff sei "irritiert" gewesen (vermutlich wird er stinksauer gewesen sein). Adorf erblickt Schröder, die beiden nicken auf Distanz kumpelhaft einander zu.

Vizekanzler Sigmar Gabriel kommt mit dick entzündeter Wange hinzu, während sich Olaf Scholz, Erster Oberbürgermeister Hamburgs, wie auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft etwas abseits von den Platzhirschen aufhalten. An diesem Vormittag ist das Grass-Haus lupenreines SPD-Terrain, bis die Kulturstaatsministerin herbeifedert.

"Ich dachte mir, ich bin die christdemokratische Speerspitze", sagt Monika Grütters prompt. Darauf Schröder: "Das ist gerade noch erträglich." Und Grütters: "Das verbuche ich jetzt mal als Kompliment."

Zwischen den professionellen Wortführern bemühen sich unter dem blühenden Kirschbaum auch einige Autoren um Wahrnehmung. Der Schweizer Adolf Muschg weiß, dass Grass auch für die DDR ungenießbar und daher bei den Menschen dort so beliebt war. Und Christoph Hein denkt über die widersprüchliche Existenz von Günter Grass nach: "Die Widersprüche passten bei ihm aber zusammen."

Lediglich Klaus Staeck übt sich in Dezenz, als wolle er deutlich machen, dass ihn nicht das Wort, sondern alles Graphische mit Günter Grass verbinde.

In Lübeck liegt das Meiste nah beieinander. Dennoch wird für die wenigen hundert Meter vom Grass-Haus zum Theater ein Sicherheitskonvoi von imposanter Größe in Gang gesetzt.

Auf der Schauspielbühne wird vor dem Riesenporträt des Pfeife paffenden Grass sein Freund und Adept John Irving nochmals seinen nicht mehr verfassten Brief an Grass wortreich beschreiben. Es werden Adjektive fallen wie stur und streitbar, man nennt Grass Störenfried und Mutmacher, der den Mund aufmachte und damit vorführte, was es heißt, im wahrsten Sinne des Wortes mündig zu sein. Aber nicht alle, die sprechen, waren früher mit Grass einer Meinung. Er habe sich "vor den Karren des Wahnsinns spannen lassen", sagt Schleswig- Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. So bleibt die in jungen Jahren eingegangene, erst in späten Jahren eingestandene Mitgliedschaft in der Waffen-SS nicht ausgespart.

Es ist, als werde in Lübeck von einem Staatsschriftsteller Abschied genommen. Für den "Stadtschreiber Grass" gibt es ebenfalls heimliche Bewerbungen. Eine davon kommt aus Düsseldorf. Dort spielen ja ein paar Episoden der "Blechtrommel", dort hat Grass nach dem Krieg auch an der Kunstakademie studiert. Und dort wurden im vergangenen Jahr in einem Wohnhaus 70 graphische Arbeiten des damaligen Studenten entdeckt. Die sollen im Herbst in Lübeck gezeigt werden.

Ganz so lieblich ist das Verhältnis zwischen Grass und Düsseldorf dann doch nicht. In "Hundejahre" hat der Autor seinen früheren Studienort mit "biedermeierliches Babel" und "niederrheinische Dunstglocke" beschrieben. Während Mitte der 60er ein paar Mitglieder des evangelischen Jugendbundes für Entschiedenes Christentum seinen Roman "Die Blechtrommel" als Schundliteratur brandmarkten und nach finsterer Tradition öffentlich am Rheinufer verbrannten. Das Ordnungsamt der Stadt hatte damals die Genehmigung dazu erteilt.

(RP)
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