Was ist "Körperglück"? Gute Gefühle machen gesund

Düsseldorf (RP). "Körperglück" ist eine Wortschöpfung von Werner Bartens. Unterhaltsam nimmt der Mediziner und Sachbuchautor seine Leser mit auf eine Reise in die jüngste Wissenschaftsforschung, die überzeugend darstellt, wie eng Körper und Seele miteinander verbunden sind.

Bhutan: Die glücklichsten Menschen der Welt
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Placebos kennt jeder, jene Pseudo-Medikamente, die keine Wirkstoffe haben und doch wirken. Nocebos sind ihre Gegenspieler: negative Gedanken und Gefühle, die in der Medizin genauso nachweisbare Wirkung entfalten können wie die Placebos (lat. nocebo = ich werde schaden). In jüngster Zeit erforschen Wissenschaftler verstärkt die Kraft der Psyche.

Und sie weisen ihrer Beeinflussung körperliche Phänomene zu, die auf der Ebene von Molekülen, Zellen und Genen nachweisbar sind. Auf Spurensuche zu diesem spannenden Thema hat sich Werner Bartens begeben, der als Arzt treffliche Vorkenntnisse aufweisen kann. In seinem neuen Buch beschreibt er "Körperglück", einen erstrebenswerten Zustand des gesunden Menschen. Ein Gespräch über die Suche nach den Bedingungen für "Körperglück".

Glücksforschung boomt! Auch Sie haben sich unter die Glücksforscher begeben und den Begriff Körperglück geschaffen. Was bedeutet das?

Bartens Es ist als Begriff eine Neuschöpfung. Und es ist für jeden etwas anderes. Mir gefällt am besten die Beschreibung von Gesundheit als Schweigen der Organe. Genauso gut ist Gadamers These von Gesundheit als Zustand der bedingungslosen Selbstvergessenheit. Glücklich, verliebt, gesund - das ist einfach so. Manche haben dieses Gefühl beim Erklimmen eines Berges oder beim Liebesspiel auf der Wiese, im Bett, im Café, bei gutem Essen. Es ist ein Zustand allgemeinen Wohlseins und Sich-Wonnig-Fühlens.

Sie wollen das technokratische Menschenbild revidieren - was setzen Sie für ein Menschenbild dagegen?

Bartens Bei diesem mechanistischen Modell geht man vom Prinzip Ursache und Wirkung aus. Ich gebe dem Menschen eine Tablette, und heraus kommt Linderung. So einfach ist das nicht. Entscheidend für die Wirkung ist, welche Bedeutung der Patient damit verbindet. Ob er denkt, oh, das wird mir jetzt helfen, das ist was Tolles. Oder ist es böses Gift, was mich noch kränker macht? Das Ganze ist das komplexe Gefüge, das der Patient mit seinem Leiden verbindet wie auch mit dem, was man diagnostisch und therapeutisch als Arzt mit ihm anstellt. Wer Kinderarzt ist, muss sich bücken können. Das bringt es auf den Punkt, der Arzt muss sich auf eine Ebene begeben mit dem Patienten auch im übertragenen Sinne. Er sollte spüren, in welcher Erlebens- und Erfahrenswelt der Patient lebt.

Sie stellen in Ihrem Buch dem Placebo-Effekt den Nocebo-Effekt gegenüber. Wie wirkt der Nocebo-Effekt?


Bartens Wenn es mir trotz Abwesenheit von pharmakologischen Wirkstoffen durch positive Erwartungshaltung bessergehen kann, so gilt es auch andersrum: Wenn ich damit rechne, dass mir eine Therapie schadet, kann das verheerende Folgen haben. Negative Erwartungshaltungen machen mich krank. Das Überraschende ist, dass sich das materiell nachweisen lässt. Im Körper wird eine Reaktion ausgelöst, die an Neurotransmittern oder Hormonen nachweisbar ist.

Welche Studien haben Sie bei Ihrer Spurensuche am meisten überrascht?

Bartens Die Vielfalt der klinischen und experimentellen Befunde, die jetzt dem uralten Volksempfinden recht geben. Und seit 20, 30 Jahren gibt es in großen klinischen Studien Erkenntnisse darüber, wie Depressionen frühen Herzinfarkt auslösen, dass Streit das Blut dick macht und unzufriedene Menschen früher Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre bekommen. Seit diesem Jahrtausend haben wir die Erkenntnisse der Molekular- und Transmitterstudien, die das Ganze auf einer Mikroebene auch noch beweisen. Ein regelrechtes Schlüsselerlebnis hatte ich beim Festvortrag eines kanadischen Neurobiologen, der auf einer Tagung der Psychosomatiker zeigte, dass auch auf der Ebene der Moleküle und Gene nachweisbar ist, wie sich enge und zärtliche Bindungen positiv auf die Gesundheit auswirken.

Was schließen sie daraus?


Bartens Dass ein Schulterschluss der Extrempole in der Medizin stattgefunden hat. Einerseits gibt es ?die Psychos?, die oft verspottet und belächelt wurden, und dann kommt so ein harter Laborforscher daher, der bestätigt genau das, was die anderen immer schon ahnten.

Sind Sie dadurch ein überzeugter Psychosomatiker geworden?

Bartens Einer der Gründe, warum ich damals aufgehört habe, als Arzt zu arbeiten, war, dass ich die Psychosomatik viel zu wenig integriert fand, gerade in der Inneren Medizin, wo ich tätig war. Ich bin Anhänger einer integrierten Medizin. Das sind Ärzte, die sagen, Psychosomatik ist nicht nur als eigenes Fachgebiet wichtig, sondern gehört selbstverständlich zum Denken und Handeln jedes Arztes.

Und daher auch dieses Buch?

Bartens Ja vielleicht. Als ich irgendwann diese wahnsinnigen Statistiken gesehen habe, dass fast die Hälfte aller Menschen, die den niedergelassenen Arzt aufsuchen, an somatoformen psychosomatischen Störungen leiden - bei Fachärzten sind es noch mehr - da dachte ich: wie furchtbar für diese Menschen, die oft sechs sieben Jahre Ärzte-Hopping machen, und was für eine Verschwendung!

Wie erkenne ich das Maß meines Glücks oder den Grad meines Unglücks? Sagt der Arzt mir das?


Bartens Ich glaube, Glück spielt in den meisten Praxen kaum eine Rolle. Patienten werden darauf dressiert, symptomorientiert zu berichten. Der Patient lernt, ich muss sofort sagen, wo es drückt. Und so fällt das ganze Umfeld weg.

Sie haben Ärzten viele Vorwürfe gemacht. Muss sich eigentlich auch der Patient verändern?

Bartens Ja, der Patient muss sich vorbereiten auf den Arztbesuch und nicht vom Doktor erwarten, dass er ihm an der Nasenspitze ansieht, wie es drinnen in ihm aussieht.

Katastrophisieren ist ein Wort, das Sie gerne gebrauchen. Wann beginnt der Mensch zu katastrophisieren, und was tut er sich damit an?

Bartens Kranke Menschen neigen dazu, vor allem bei Rückenschmerzen. Für viele ist ein Bandscheibenvorfall fast so schlimm wie ein Herzinfarkt. Seit einigen Jahren ist vielen Orthopäden aber bewusst, dass man die Menschen schnell wieder auf die Beine bringen muss statt sie bewegungslos zu betten. Wer eine Krankheit katastrophisiert, verschlimmert das Krankheitsgefühl und verstärkt die Symptome.

Der Schmerz wird gebahnt durch frühkindliche Erlebnisse, sagen Sie. Heißt das, man wird ihn nie wieder los, der Mensch ist machtlos?

Bartens Dazu gibt es aufschlussreiche Studien, an rumänischen Waisenkindern etwa, die in der Ceaucescu-Zeit in ihren Betten angebunden worden waren. Die haben gezeigt, dass die frühkindliche Misshandlung nicht nur akut, sondern noch 15 Jahre nach einer Adoption in gute Verhältnisse nachwirkte. Dennoch ist der Mensch in jeder Hinsicht, psychisch und biologisch, ein flexibles System. Und kann schlechte Erfahrungen später unter Umständen wieder umbiegen. Das gilt aber wahrscheinlich nicht bei Missbrauch in Kindheit und Jugend.

Was muss man alles tun, um mehr Körperglück zu gewinnen?

Bartens Manchmal ist gerade das allzu aktive Bekämpfen nicht der richtige Weg. Sondern die Linderung eines Leidens hat auch viel mit dem Hinnehmen und dem Zustand der Selbstvergessenheit zu tun.

Die Midlife-Crisis erreicht jeden Menschen. Männer wie Frauen müssen da durch. Doch die meisten Menschen haben verlernt, zu ihrem Alter zu stehen. Dabei versuchen sie nicht nur, Falten zu bekämpfen, sondern den gesamten Körper zurechtzuschneidern. Solche Eingriffe in den Körper bringen doch kein Körperglück, oder?

Bartens Viele tun vieles und um jeden Preis, andererseits hat es die Pharmaindustrie geschafft, die natürlichen Vorgänge im Körper zu pathologisieren. Es ist eine Frechheit, die Frau ab 50 als Hormon-Mangelwesen darzustellen. Auch der Name Hormonersatztherapie suggeriert, da fehlt was.

Sie sagen, dass der Krebskranke dringend darauf angewiesen ist, dass er unterstützt wird ...

Bartens Mir ist noch viel wichtiger, nicht nur beim Thema Krebs, sondern im ganzen Buch, dass der Kranke keine Schuld hat an seiner Krankheit. Es ist eben oft Schicksal, und der Ausgang einer Krebserkrankung hängt von vielen Dingen, von der Bösartigkeit des Tumors und auch von den Lebensumständen ab. Dazu sieht die eingeforderte seelische Unterstützung für jeden anders aus, der eine will einfach nur, dass jemand für ihn da ist, ein anderer will allein sein, oder wieder ein anderer fordert Zärtlichkeit. Es gibt keine Patentrezepte. Das Schlimmste aber ist die Phrase, man müsse den Kampf gegen den Krebs gewinnen.

Eine letzte Frage sei erlaubt: Wie glücklich sind Sie?

Bartens Höchst privat, diese Frage. Ich bin ganz zufrieden, und kann auch von Körperglück sprechen. Doch Glück ist ein großes Wort.

(RP)
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