Vatertage Ich hatte vier freie Tage - und David hatte Scharlach

Der Vater denkt, er werde die nächsten Tagen lesend verbringen. Doch daraus wird nichts, denn der Sohn ist krank.

Ich hatte vier freie Tage am Stück. Sandra würde nicht da sein, David jeweils sechs Stunden im Kindergarten. Ich würde also viel Zeit haben. Am Morgen meines letzten Arbeitstages kaufte ich ein dickes Buch, es heißt "Parallelgeschichten" und hat 1700 Seiten. Ich steckte es in meine Umhängetasche. Ferienlektüre sozusagen. Und ein Symbol der Freiheit.

Als ich am Abend nach Hause kam, empfing mich Sandra schon an der Tür. "David hat Scharlach", sagte sie. Sie trug David, seine Wangen waren sehr rot, er weinte. Der Arzt hatte ein Antibiotikum verschrieben. In der Nacht schlief trotzdem niemand von uns. Und am Morgen musste Sandra nach Berlin, es ging nicht anders.

Den Tag über lag David zumeist auf dem Sofa und guckte Dinosaurier-Dokumentationen auf DVD. Wenn das Fieber stieg, gab ich ihm das verschriebene Medikament. Ich kaufte Capri-Sonne-Cola-Mix und Flutsch-Finger-Eis. Als das Fieber-Medikament wirkte, lachte David hysterisch. Es war ein bisschen schräg. Immerhin verlief die Nacht ruhig.

Am nächsten Tag ging es David viel besser, so wirkte es zumindest. "Ich habe nur noch ein bisschen Scharlach", sagte er. Und: "Mir ist langweilig." Er durfte nicht in den Kindergarten, also spielte ich mit ihm. Memory und Socken zocken. David verliert nicht gern, ich ließ ihn gewinnen. Nach jeweils einer Partie hatte er keine Lust mehr, er quengelte, und aufräumen wollte er auch nicht. Als ich dachte, es werde nun sicher bald dunkel, war erst Mittagessen-Zeit. Abends legte ich mich um halb neun ins Bett.

Der dritte Tag war wieder schlechter, das Fieber stieg, aber die Ärztin sagte, das sei der normale Verlauf. Ich kaufte eine Kokosnuss, wir hämmerten sie auf dem Balkon kaputt, das brachte eine halbe Stunde Beschäftigung; essen mochte David sie jedoch nicht. Während er "Ritter Rost" hörte, wischte ich das Kokosmus vom Boden. Ich las unsere Conni-Bücher vor. Alle. Als er gegen 19 Uhr einschlief, war ich heiser. Ich schaute einen halben Film auf DVD und trank dazu ein Bier.

Am folgenden Tag kehrte Sandra heim, allerdings erst nachmittags. Bis dahin fragte David im Viertelstunden-Takt, wann seine Mama wiederkomme. Er war halbwegs fit, dennoch bereute ich, dass ich mit ihm schimpfte: "Du musst das nicht immer fragen, davon ist Mama auch nicht schneller da." Ich machte es wieder gut. Capri Sonne. Memory. Socken zocken. Flutsch Finger. Sandra schaute nach ihrer Ankunft in den Kühlschrank und schüttelte den Kopf. Sie schrieb einen Einkaufszettel, ich ging in den Supermarkt. Auf dem Weg dahin kaufte ich beim Schlachter ein Brötchen mit Frikadelle und aß es im Gehen.

Am nächsten Morgen durfte ich wieder ins Büro. Als ich in meiner Umhängetasche nachschaute, warum sie so schwer ist, fand ich das dicke Buch.

Es war noch eingeschweißt.

(RP)
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