Radolfzell Immer weniger Vögel zieht es im Herbst in den Süden

Radolfzell · An Halsbandsittiche in den Parkanlagen hat man sich inzwischen gewöhnt, sogar an freilebende Flamingos an der deutsch-holländischen Grenze. Nun aber bleiben auch immer mehr alteingesessene Vogelarten im Herbst ganz einfach hier bei uns und machen sich nicht mehr auf den langen und beschwerlichen Weg in den Süden. Stare, Mönchgrasmücken, Buntspechte, Zilpzalps, Sommergoldhähnchen und andere bleiben immer häufiger hier. Die Amsel ist auch so ein Vogel, der es sich hier im Winter bequem macht, obwohl er in den Süden fliegen sollte.

Noch vor 200 Jahren notierten Vogelbeobachter, dass praktisch alle Tiere sich in wärmere Gefilde aufmachen. Vor 50 Jahren ist es dann nur noch etwa die Hälfte der heimischen Populationen und heute ist die Amsel vielerorts gar zu einem Standvogel geworden, wie Ornithologen die Tiere bezeichnen. Nahrung gibt es für sie auch im Winter inzwischen mehr als reichlich hierzulande: Abfälle auf den Straßen, Komposthaufen, Mülldeponien und natürlich die Futterhäuschen in den Gärten erleichtern ihnen das Hierbleiben. In den Städten ist es zudem noch viel wärmer, als im offenen freien Umland: bis zu 3 Grad Celsius. Allein im 20. Jahrhundert ist die Temperatur um fast ein ganzes Grad Celsius gestiegen. Die Klimazonen haben sich um bis zu 100 Kilometer in Richtung Norden verschoben. Der Frühling beginnt immer früher. Und das hat Auswirkungen, auch auf die Vogelwelt.

"Wenn die gegenwärtigen Trends anhalten", meint Peter Berthold, langjähriger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, die zum Max-Planck-Institut für Ornithologie gehört, "gibt es in 50 bis 100 Jahren keine Zugvögel mehr in Mitteleuropa". Dabei ist es gar nicht einmal vorrangig die Kälte, die den gefiederte Freunden im Winter so zu schaffen macht, vielmehr ist das Futterangebot zu knapp in der kalten Jahreszeit, vor allem die Insekten fehlen. So sind es auch vor allem die Insektenfresser, die sich heute immer noch auf den Weg in den Süden machen. Aber selbst die könnten in Zukunft immer öfter hier bleiben, denn schließlich nimmt mit den wärmeren Temperaturen und den milden Wintern auch das Angebot an Insekten deutlich zu. Zur Zeit machen sich etwa 50 Milliarden Vögel weltweit auf den Weg. Die meisten der mitteleuropäischen Vögel sind allerdings sogenannte Teilzieher, was bedeutet, dass einige Tiere in den Süden fliegen, andere der gleichen Art aber nicht.

Anpassungsfähigere Arten profitieren davon, da ihnen so der lange und gefährliche Weg erspart bleibt, auf dem immer auch Tiere umkommen. Ferner können sie schon früh die besten Reviere besetzen, um die sie normalerweise mit den Zugvögeln wetteifern müssten. Andererseits gibt es viele Verlierer wie den Kuckuck, der sich im Herbst auf den Weg in den Süden macht. Als Brutparasit ist er darauf angewiesen, seine eigenen Eier im richtigen Moment in die Nester anderer Vögel zu schmuggeln. Da aber die Daheimgebliebenen auch immer früher mit dem Nestbau und dem Brüten beginnen können, fällt es ihm zunehmend schwerer, im Frühling geeignete Nester für seine Jungenaufzucht zu finden.

(RP)
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