Ahwa Indiens Ureinwohner kämpfen um ihre Identität

Ahwa · Die Adivasis sind die ersten Bewohner des Subkontinents. Sie folgen einer eigenen Religion – doch radikale Hindus wollen das ändern.

Die Adivasis sind die ersten Bewohner des Subkontinents. Sie folgen einer eigenen Religion — doch radikale Hindus wollen das ändern.

Es hat etwas Unerhörtes, Menschen bei einem religiösen Ritual zu beobachten. Als raube man dem Geschehen die Unversehrtheit. Zumal, wenn das Ritual so verstörend ist wie das hier.

Doch die alte Priesterin fühlt sich nicht gestört. Mit seltsamer Leichtigkeit wuchtet sie den schweren Holzpfahl über ihre Schulter und lässt ihn niedersausen auf den Schädel eines Schafes. Das hatten zwei junge Kerle auf dem Felsen niedergedrückt und festgehalten. Nun zuckt das Tier noch, schon holt die Alte wieder aus. Der Knüppel kracht abermals. Jetzt bleiben die Gliedmaße ruhig. Ohne noch einmal hinzuschauen, steigt die Priesterin die Felsstufen hinauf, lehnt sich wie unbeteiligt an die krummen Fahnenstangen vor dem Altar des Gottes Nalda. Sie hat sehnige Beine, trägt einen großen Nasenring. "Nalda mag keine Messer", sagt sie, "darum erschlage ich die Tiere. So haben das meine Vorfahren schon gemacht."

Adivasis sind keine Hindus. Sie pflegen eine animistische Religion mit Gottheiten wie dem Wind oder Bäumen. Sie empfinden sich als Teil der Natur, und die Beschwichtigung der Götter, Opfer und Dank gehören dazu. Doch diese Tradition ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Der indische Staat erkennt die Adivasis als indigene Bevölkerung nicht an, bezeichnet sie in der Verfassung als "registrierte Stämme". Die Adivasis haben sich der Deutungsmacht der Mehrheit gefügt, haben ihre Traditionen mit den Augen der anderen zu sehen begonnen — und aufgegeben. Die Dangs aber, eine bergige Region im Süden des Bundesstaates Gujarat, ist ursprüngliches Adivasi-Land. Dort stellen sie 92 Prozent der Bevölkerung. Dort leben sie ihre Religion zum Teil noch wie früher. Und so entdecken wir bei unserer Fahrt entlang des Bergflusses Khapri die Wimpel einer Opferstätte und beobachten, wie ein Dorf seiner Gottheit dient.

Pater Iswan ist nicht mit auf die Felsen geklettert. Er kennt diese Zeremonien, weiß, wie sich die Menschen vor den kleinen Gottesstatuen drängen, ihre Kokosnüsse zerschmettern, die Räucherstäbchen schwenken, dann das Schaf töten. Pater Iswan ist selbst Adivasi und sein Vater war Priester wie die alte Frau am Fluss. "Wir hatten allerhand Götterfiguren daheim", sagt er, "und mein Vater hat vor Opferfeiern einen Platz hinter unserer Hütte stets rein gefegt." Der Pater lächelt versonnen. Er war neun, als er zum Christen getauft wurde, das ist fast 50 Jahre her. "Es war kein Zwang, ich habe schon als Junge zum Glauben an Jesus gefunden", sagt er. Doch sein Weg aus einem Adivasi-Dorf bis an ein Priesterseminar der Jesuiten war hart. Er sprach nur seine Stammessprache, musste für die theologische Ausbildung Hindi und Englisch lernen, war der erste Adivasi, der in den Orden aufgenommen wurde.

Die Region, in der er nun als Priester wirkt, die Dangs, sind ein religiös umkämpftes Gebiet. Nur fünf Prozent der Einwohner sind Christen. Im gesamten Bundesstaat ist der Anteil mit 0,5 Prozent aber noch geringer. Darum beschuldigen nationalistische Hindus die Christen, aggressive Missionierung zu betreiben und haben die Dangs ins Visier genommen. Sie wollen Adivasis "zurückgewinnen", obwohl die ursprünglich nie Hindus waren.

Es hat Zeiten der Gewalt in den Dangs gegeben. 1998 etwa griffen Extremisten christliche Einrichtungen an. Das sorgte für Aufsehen weltweit, darum gehen die radikalen Hindus heute subtiler vor. Zum Beispiel, indem sie neue Kultstätten bauen. Wir fahren zum Shabri Dham Temple in Gujarat. Arbeiter schütten eine neue Zufahrtsstraße an, eine große Halle und Parkanlagen sind schon fertig. Der Tempel wurde zu Ehren der Göttin Sabri errichtet. Sie soll im Urwald dem Hindugott Ram Beeren gereicht haben. Weil die Göttin aus dem Dschungel stammt, eignet sie sich, um sie in die Götterwelt der Adivasis einzuführen — und so deren eigene Naturreligion zu unterwandern.

Bei Ashok Demukh hat das funktioniert. Der Adivasi arbeitet als Rikscha-Fahrer im Nachbarstaat Maharashtra und ist 240 Kilometer nach Subir gereist, um den neuen Tempel zu besuchen. Sabri nennt er eine Adivasi-Göttin, in der Hand hält er ein Foto, das ihn vor dem Tempel zeigt. Das ist sein Souvenir. Hinter den religiösen Machtkämpfen stehen ökonomische Interessen. In den Dangs wachsen kostbare Teakbäume und die raue Berglandschaft ist interessant für Tourismus.

All das muss man wissen, wenn man mit Pater Iswan abends zur Messe in ein Dorf fährt. Kein Strom. Die Gläubigen kommen im Schein von Taschenlampen zur Messe. In ihrer Kirche sitzen sie auf Bastmatten. Einziger Schmuck im dem kargen Raum sind ein paar Jesus-Glanzbilder, die mit Glitzer-Tesa an die Wand geklebt sind.

Pater Iswan predigt mit großen Gesten, erzählt Anekdoten. Die Gläubigen singen schlichte Lieder, einer aus dem Dorf schlägt die Trommel. Als Pater Iswan die kleine Gemeinschaft segnet, wird es ganz still, und es ist, als rückten alle ein wenig zusammen. Dann ziehen die Christen aus Pater Iswans Gemeinde wieder in die Diaspora, hinaus in ihr Dorf in den Wäldern der Dangs — und die Lichter ihrer Taschenlampen verschwinden in der Nacht.

(RP)
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