Insel der Glückseligen

Die erwachende Natur, vielfältige Ausstellungen und ein neues Haus für Musik locken im Frühling in den Kulturraum Hombroich.

Sie ist aufreizend und verschlossen zugleich. Sie lockt mit Kunst und Architektur Menschen an und weist sie in Ermangelung guter Ausschilderung und leistungsstarker Gastronomie oft wieder ab. So ist sie eben, die Insel der Kunst, die keine echte Insel ist, obwohl sich Horizonte eröffnen, der Ozean indes fehlt. Dafür bietet sie im Einklang mit den gleichgesinnten Nachbarn Natur pur als wohltuend leise Einrahmung aktueller Kunstströmungen. Wilde Narzissen recken ihre sauseligen Köpfe in den scharfen Wind, der hier bläst. Das Konzert der Vögel stimmt ein auf die neue Attraktion der Raketenstation: Ein Haus für Musiker wurde jetzt endlich fertig und eröffnet, das vor 20 Jahren von Architekt Raimund Abraham visionär erdacht worden war und schon vor elf Jahren seine Grundsteinlegung erlebte.

Abraham plante es als Lebens-, Arbeits- und Aufführungsstätte für ein Quartett. Er hat die Einweihung nicht mehr erlebt. Es sollte eine Art Burg für vier Bewohner werden, die sich öffnet und verschließt, Begegnung wie Rückzug möglich macht. Rückzug zur kreativen Kontemplation, Begegnung auch mit Publikum. Zur Eröffnung gibt es erstaunlicherweise kein Konzert, auch zur Zukunft derzeit nichts Konkretes. Dafür laufen filmisch anregende Arbeiten des Italieners Yuri Ancarani im Untergeschoss - in einem Konzertsaal, dessen Akustik speziell ausfällt angesichts des verbauten Betons.

Unweit von Düsseldorf und Neuss, noch im näheren Einzugsgebiet des Rheinlandes und der Benelux-Nachbarn liegen die zauberhaften Orte, die sich zum Kulturraum Hombroich vereinigt haben und zum dritten Mal gemeinsam Ausstellungen eröffnen. Auf der Raketenstation, im lichten Museum der Langen Foundation und in Thomas Schüttes auf einen Hügel gesetzten formschönen Skulpturenhalle, die ihren ersten Geburtstag feiert.

Ein Prinzip derer, die sich die Orte des Kulturraumes idealistisch vorgestellt hatten, sind Stille, die Natur und die nonverbale Kommunikation. Es gibt keine Hinweisschilder, was manche Menschen ärgert. Vielleicht sollte man wenigstens das eine Schild aufhängen, auf dem erklärt wird, warum es keine Erläuterungen zu den Kunstwerken gibt. Tatsächlich, etwa im Siza-Pavillon, braucht man Erklärungen aber nicht. Hier werden Schätze der Fotografie gezeigt aus der Sammlung Volker Kahmen.

Der Kunsthistoriker, der im Rosa Haus der Stiftung lebte, hatte diese Ausstellung noch selbst mit eingerichtet, sie ist persönlich moduliert, zeigt Menschen, Idealtypen, Landschaften, Design, Fachwerk und vieles andere, was nicht alle Tage auf kostbaren alten Abzügen zu sehen ist. Über jeden Blick wird sich der Betrachter neu berühren lassen. Kahmen ist vor wenigen Tagen gestorben, die zweiteilig gedachten Ausstellungen gehen auch nach seinem Tod weiter, im Herbst folgt jüngere Fotografie.

Die Langen Foundation hat ihren Saal einer Künstlerin gegeben, die Malerin, Bildhauerin, Denkerin und auch Nerd ist. Aus der Ferne wirken die aus pigmentiertem Gips gebauten Bildlandschaften von Carolin Eidner (Jahrgang 1984) nicht so spektakulär wie aus der Nähe. Da steckt Gesellschaftskritik und Handarbeit drin, da gibt es Poesie und Allegorie. Raster, Muster, Linien und Leerstellen prägen die dick bearbeiteten Leinwände. "Thousend Suns For A Lonely Man" sieht in etwa so aus, wie es der Titel verheißt. Die männliche Figur glaubt, die Welt dominieren zu können und stößt mit XXL-Phallus ins Leere.

Die Männer kommen auch nicht ganz so gut weg bei der Bildhauerin Paloma Varga Weisz. Übersät mit Beulen hat sie sie, eingezwängt in einen aus Korb geflochtenen Körper oder zerlegt wie eine Marionette, noch dazu angekokelt. Klar, dass Thomas Schütte Weisz in seine Halle geladen hat, fühlen sie sich beide von der figürlichen Skulptur angezogen. Ist der Kunstweltstar Schütte vielleicht weniger anzüglich in seinen Arbeiten, abstrakter, so ist die Vertreterin der nächsten Generation drastischer im Ausdruck und bewusst dem Elend zugewandt. Sie legt eine einsame Frau in ein Fass oder hängt eine andere mit zwei Gesichtern kopfüber unter die Decke - gefallen, auseinandergerissen, endzeitlich. Letztere Skulptur geht einem niemals mehr aus dem Kopf, hat man sie einmal gesehen. Neben der handwerklichen Präzision rührt die gestellte Szene, der Kontext, an.

Weisz (Jahrgang 1966) hat bei Tony Cragg und Gerhard Merz in Düsseldorf studiert, zuvor Holzbildhauerei in Garmisch-Partenkirchen. Dass sie alles mit ihren eigenen Händen anfertigt, so weit möglich, verleiht ihren Arbeiten unglaubliche Energie und Präsenz. Glücklich machende Ausstellungen.

(RP)
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