Oberhausen Jedem ein poppiges Meisterwerk

Oberhausen · Die Ludwiggalerie Oberhausen zeigt von Sonntag an Pop-Art aus der Sammlung des 1988 gestorbenen Düsseldorfer Rechtsanwalts Heinz Beck: vor allem Siebdrucke von Rauschenberg bis Warhol. Eine Erinnerung an die Zeit hoher Auflagen und niedriger Preise.

Hätte, hätte, Fahrradkette - der Lieblingsspruch eines vergessenen deutschen Spitzenpolitikers kommt einem in den Sinn, wenn man bedenkt, was den Städten Hilden und Neuss entgangen ist, als sie in den 80er Jahren eine Kunstsammlung dankend ablehnten. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Heinz Beck (1923-1988) wollte ihnen seine umfangreiche Kollektion amerikanischer und deutscher Pop-Art übereignen und erbat im Gegenzug ein dauerhaftes Domizil für seine Schätze. Doch das kleine Hilden, in dem Beck sein Abitur gemacht hatte, sah sich überfordert, und danach winkte auch Neuss ab. So gelangten die Siebdrucke und Auflagenobjekte, die berühmte "Multiple Art" der 60er und 70er Jahre, ins Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen und von dort jetzt als Leihgabe ins Rheinland zurück, in die Ludwiggalerie Oberhausen.

In sechs Räumen auf drei Stockwerken kann man nicht nur die Spielarten einer Kunstrichtung durchstreifen, sondern auch eine bewegte Zeit zwischen Studentenprotest und Vietnamkrieg. Da die Künstler damals Wert darauf legten, dass jeder sich ihre Werke leisten konnte, brachten sie parallel zu ihren Gemälden immer auch Grafik heraus. Beck gab für die meisten Blätter, die er erwarb, nur 150 D-Mark aus; das teuerste erstand er für 3000 Mark. Heute kosten etwa signierte Siebdrucke von Andy Warhol mit dem Motiv Marilyn Monroe mehr als 100.000 Euro - und das bei einer Auflage von 250 Stück. Das war noch wenig im Vergleich zu den damals üblichen Pop-Art-Auflagen von 1000 oder 2000 Blättern.

"Demokratisierung der Kunst" lautete die Parole, und nicht nur Geringverdiener, sondern auch Beck und der kaufkräftige Peter Ludwig aus Aachen griffen zu, Letzterer vorzugsweise bei den Unikaten.

Man verachte aber die Druckgrafik nicht: Auch in einer 1000er Auflage gilt jedes Blatt als Original. So kommt es, dass man sich jetzt ein Bild von den berühmtesten Motiven der Pop-Art machen kann - und darüber hinaus von solchen, die sich ausschließlich in Siebdrucken finden. Die Hängung ist zwar ein wenig wirr, denn Marilyn präsentiert sich im ersten Stock in Schwarz-Weiß, im dritten dann in Farbe, und auch in anderen Fällen zieren Werke desselben Künstlers Wände unterschiedlicher Etagen; doch das ist okay, darin spiegelt sich die Turbulenz der Zeit.

Der Reiz der Ausstellung besteht in zweierlei: Einerseits veranschaulicht sie, welch großes qualitatives Gefälle zwischen dem großen Robert Rauschenberg und dem flachen Mel Ramos besteht und wie Andy Warhol das Mittelfeld beherrscht. Andererseits zeigt sie auch wenig bekannte, abseitige Blüten der Pop-Art.

Rauschenberg zum Beispiel: Das Blatt ",R' Selbstporträt" von 1965, eine Farblithografie, erweist den Künstler als Meister des Collagierens und Komponierens. Mel Ramos dagegen ist sein Leben lang kaum über die Verknüpfung von Ware und Frau hinausgelangt: weiblicher Akt vor Coca-Cola-Flasche, weiblicher Akt vor Del-Monte-Tomatensuppe, weiblicher Akt auf einem überdimensionierten Hamburger sitzend - technisch geht das über Werbegrafik nicht hinaus.

Die Ausstellung zeigt sich von ihrer aufregendsten Seite dort, wo hohe Kunstfertigkeit mit seltenen Motiven zusammentrifft. Claes Oldenburg hat auf ein ausgefaltetes Taschentuch eine Nase gemalt. Howard Kanovitz hat sein berühmtes ironisches Gemälde "Die Leute/Zuschauer", eine von hinten abgebildete, ins Dunkle blickende Menschengruppe bei einer Vernissage, zusätzlich als Siebdruck und als Relief hinterlassen, hier beide in unmittelbarer Nachbarschaft.

Larry Rivers spielt mit seinem Blatt "Zigarrenkiste niederländische Meister" auf Rembrandts Gruppenbildnisse an.

Die amerikanische Gruppe "Art Workers' Coalition" griff für eine Grafik ein Motiv auf, das ein Fotograf der US-Armee, Ronald L. Haeberle, auf eigene Faust der Presse verkauft hatte: getötete Frauen und Kinder beim Massaker von My Lai. Ja, die hohe Zeit der Pop-Art war auch die Zeit des Vietnam-Kriegs, und nicht nur die "Art Workers' Coalition" protestierte; auch James Rosenquist kritisierte mit Hilfe von Werbung und Pop-Art die aggressive Kriegsführung der USA. Derweil befasste sich Lowell Blair Nesbitt in mehreren schwarz-weißen Blättern mit den Weltraum-Missionen Apollo 9 und Apollo 13.

Zu den wenigen lyrischen, wenn auch bös gemeinten Blättern zählt Richard Estes' "Cafeteria" von 1970: ein Schaufenster, in dem sich die Fassaden eines unwirtlichen Stadtraums spiegeln. Der Katalog zitiert den Künstler mit den Worten: "Ich will nicht Werbung für New York oder so etwas machen. Am liebsten würde ich die Orte, die ich male, niederreißen." Roy Lichtenstein schließt sich mit seinen comichaften Rasterbildern dem Thema der riesigen amerikanischen Städte an.

Inmitten der Bilder übersieht man leicht die Kunst der dritten Dimension, jene "Multiple Art", die oft in unbegrenzter Auflage entstand und den Kunstmarkt flutete, ohne dabei das Prädikat "Original" zu verlieren: Oldenburgs gusseiserne Nachbildung einer Scheibe Knäckebrot zum Beispiel oder ein Hühnchen aus Gießharz von George Segal.

Es war eine Zeit der Fantasie, aber auch eines erhöhten politischen Bewusstseins. Davon weiß die Ausstellung viel zu erzählen. Doch da Heinz Beck ausschließlich Figürliches sammelte, zeigt sie nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen blinkt die ungegenständliche Kunst mit ihren kosmischen Visionen. Die sollte man sich in Oberhausen hinzudenken.

(B.M.)
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