Serie "100 Jahre Erster Weltkrieg" Kitsch und Propaganda - der Krieg der Bilder

Der Erste Weltkrieg setzte auch darin Maßstäbe – das große Sterben zwischen 1914 und 1918 wurde zur Geburtsstunde einer modernen Kriegspropaganda.

Der Erste Weltkrieg setzte auch darin Maßstäbe — das große Sterben zwischen 1914 und 1918 wurde zur Geburtsstunde einer modernen Kriegspropaganda.

So skurril uns manch vergilbtes Bild auch erscheinen mag, so naiv verdreht die darauf fixierte Wirklichkeit und so offenkundig ihre Absicht ist — über die Propagandabildchen aus dem Ersten Weltkrieg lacht oder schmunzelt keiner. Weil sie eben doch ihre Wirkung taten, tausende Menschen beeinflussten und sie auf ein Schlachtfeld schickten, von dem die Propaganda vorgab, ein Feld der Ehre zu sein. Es war aber ein Feld des blutigen Leidens und des Todes. Kriegspropaganda war darum vor allem eins: eine psychologische Erziehung für Verdun.

Aber hat es diese Form von Einschwörung nicht immer schon gegeben? Sicher, ohne Psychologie schien auch in den Jahrhunderten zuvor eine Kriegsführung kaum erfolgversprechend. Allerdings setzte der Erste Weltkrieg selbst mit seiner Propaganda neue Maßstäbe. Das große Sterben zwischen 1914 und 1918 war auch das — Geburtsstunde der modernen Kriegspropaganda.

Das hatte zunächst technische Gründe. Die neue Lithografie erlaubte kunstvolle Drucke, zudem wurde die Postzustellung mobiler und mit der Eisenbahn erheblich schneller. Noch im 19. Jahrhundert waren Briefe eine Sache des Bürgertums, ein Signum ihres Standes, ihrer Wohlhabenheit und Bildung. Die Postkarte aber, dieser kleine bunt bedruckte Karton, demokratisierte die Post; und sie wurde mit der Feldpostkarte im Ersten Weltkrieg zu einem bis dahin unbekannten Massenmedium. Es waren Botschaften an die Heimatfront, nicht selten mit Kitschmotiven, die den Erlebnissen im Schützengraben Hohn sprachen. Aber: Oft war allein die Karte wichtig, als eine Art Lebenszeichen. Selten ist die Medientheorie so konkret und existenziell gewesen wie damals: "The Medium Is The Message" — allein die Karte war bereits die Botschaft.

Wobei das, was darauf die Soldaten verlauten ließen, selbstredend geschönt war. Dafür sorgte schon ein neues deutsches Kriegspresseamt mit einer Oberzensurstelle, das darüber wachte, dass sich die Wirklichkeit des Krieges nicht bis zur Heimatfront durchkämpfen konnte. Nicht selten erreichten Karten die Lieben daheim mit einigen nachträglich geschwärzten Passagen.

Der Erste Weltkrieg entdeckte als neue Waffe das visuelle Element — und dies geschah bei allen Kriegsparteien. Das beginnt mit amerikanischen Rekrutierungspostern und endet mit der Karikierung des Feindes, des grobschlächtigen Russen, des leichtlebigen Franzosen, des manierierten Engländers. Von Gräueltaten war nun die Rede, von belgischen Frauen, die dem braven einquartierten deutschen Soldaten nachts die Kehle durchschnitten.

Gerade die deutsche Kriegspropaganda kämpfte an zwei Schauplätzen: an der eigentlichen Front, zur Motivierung der Soldaten. Eine solche innere Kriegsführung gab es mehr oder weniger immer schon. Wichtig geworden aber war jetzt auch die Propaganda zur Selbstmobilisierung der Gesellschaft. Es galt, den zu Kriegsbeginn geschlossenen "Burgfrieden" einer nationalen Einheit zur bewahren. Daraus entwickelte sich dann ein ganz neuer Zungenschlag. Dieser Burgfrieden beschwor mehr und mehr eine deutsche Volksgemeinschaft herauf. Das hatte neben der Förderung der allgemeinen Kriegsbegeisterung einen weiteren, sehr konkreten Grund: Gerade in der Anfangszeit finanzierte das deutsche Kaiserreich seinen Waffengang mit Kriegsanleihen seiner Bürger. Es galt also, die Menschen auch als Geldgeber bei Laune zu halten.

Sicher, es gab andere Bilderwelten — jene der Maler, die zunächst oft selbst kriegstrunken im Graurock losgezogen waren, dann aber, wenn sie nicht selbst starben — wie August Macke und Franz Marc — später eindringlich das Grauen malten. Das Werk von Otto Dix ist davon tief durchdrungen. Doch als diese Gemälde berühmt wurden, war der entfesselte Krieg schon geschlagen, verloren und bezahlt mit millionenfachem Tod.

Die Post- und Ansichtsarten blieben. Denn natürlich wurden die oftmals letzten Grüße von Sohn und Vater sorgsam aufbewahrt, schlummerten in Kästchen und Alben. Sie waren mit ihrer Kriegshetze und gefährlichen Klischees ein schleichendes, langwirkendes Gift auch für nachfolgende Generationen, die sie Jahre später in den Händen hielten und die dadurch empfänglich wurden für neue, menschenverachtende Ideologien. Die Propaganda des Ersten Weltkriegs hatte mit diesen Botschaften radikalnationalistische Ideen in die Welt gesetzt, die in den Köpfen vieler Menschen weiter verhängnisvoll arbeiteten.

(RP)
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