Brühl Klauke bei Max Ernst

Brühl · Besser als gedacht passt Jürgen Klauke in das Max-Ernst-Museum von Brühl. Sein zeichnerisches Werk enttarnt ihn fast als Surrealisten von heute.

Jürgen Klauke ist kein Surrealist. Aber der mit ungeheuerlichen Inszenierungen, grenzgängerischen Performances und teils skandalösen Fotoinstallationen berühmt gewordene Provokateur aus Köln ist dem Sinn und Geist eines Max Ernst nah. Darauf kommt natürlich nur, wer sich das erstmals in solcher Fülle vorhandene zeichnerische Werk Klaukes anschaut. Nun ist er auf Besuch bei Ernst.

Im Museum, das den Namen des in Brühl geborenen Dadaisten und Surrealisten trägt, ist Klauke eingezogen. Überraschend dezent fügt sich die Ausstellung "Selbstgespräche" ins Untergeschoss des Museums. Dieser Teil von Klaukes Werk ist leise, hat keinen Punk. Und ist doch Bindeglied des Oeuvres: Inspirationsbasis großer Formate oder deren intime Fortführung auf dem Papier.

Mehr als 400 Blätter berichten lustbetont, versponnen, grollend, verzweifelt, aggressiv, animiert, amüsiert und anekdotenreich von einem prallen Künstlerleben, in dem sich alles um das Ich dreht, in dem Sexualität eine übergewichtete Rolle spielt und der eigene Körper stets Akteur bleibt. Seit Schülerzeiten stellt für Klauke die Kunst eine Art Wunschmaschine in Bereitschaft dar, die ihn befähigt, seine innere Welt als Gegenentwurf zu errichten und auszuschmücken.

"Zeichnerei" nennt der gelernte Schriftsetzer und Grafiker sein Tun, der erst danach studierte und später in Köln als Professor lehrte. Die erlernten Kerntechniken finden sich in seinen feinen Tuschestrichen wieder, mit spitzer Feder malt er selbst schwarze Flächen aus - sieht aus wie gedruckt: eine verblüffende, zeitintensive, perfekte Technik.

Auch seine Gouachen nennt Klauke Zeichnungen, Anfang der 1980er Jahre entdeckt er diese spezielle Technik, in Laviertechnik geschaffene großformatige Malereien mit Figuren, die sich zeichenhaft in einem Farbsee auflösen und leuchten. Die Figuren scheinen ungefährlich, unausgeprägt. Wie sie da hocken, haben sie etwas von Embryos, tragen aber assoziationsreiche Titel wie "Kommunikationsvehikel".

Zeichnung ist ein stilles Medium, vieles erschließt sich nicht auf einen Blick. Man muss genau hinsehen, gerät ins Grübeln, unternimmt Deutungsversuche. Oft ist man mit seiner Interpretation auf dem Holzweg. Der Künstler setzt Titel als Deutungshilfen, mal sind diese aufschlussreich, mal abwegig. Manchmal setzt er ganze Textblöcke hinzu, Poesie, Erfahrungen. Klauke zeichnet äußerst vielseitig, winzig und auch groß ausholend, er kritzelt und verdichtet Buchstaben zu lauten Worten auf feines Bütten, oder er bespielt eine ganze große Leinwand mit malerischem Gestus.

Das Museum hat ihm ein besucherfreundliches Entree bereitet, an der Wand ist eines seiner frühesten illustrierten Tagebücher als E-Book aufbereitet, an dem Besucher sich durchwühlen können und von Seite zu Seite virtuell weiterblättern. Seine unendlichen Skizzen aus mehr als 40 Jahren, Tageszeichnungen nennt er die, hat der in Köln lebende Künstler nie auf lose Blätter aufgebracht, sondern stets in Büchern chronologisch angeordnet. Es sind Notationen seiner Befindlichkeit, vom Zeitgefühl überwuchert und von einer übersteigerten persönlichen Emotionalität. Das früheste dieser illustrierten Tagebücher stammt aus den Jahren 1970 und 1971.

Mut beweist das Museum mit diesem Schritt. Zur Entstehungszeit vieler Zeichnungen hätte man diese nie im öffentlichen Raum ausgestellt, sind sie doch stark sexuell betont, erotisch aufgeladen und detailreich ausgeschmückt. Klaukes Kunst der Verformung von Körpern über die Geschlechter hinweg entspringt seinem Vermögen, surreal zu denken. Vieles, was er zeichnet, ist aber reine Fantasie, Besessenheit. "In diesen Möglichkeitsformen, die er durchspielt, ist er Surrealist", sagt Kurator Achim Sommer, der Museumsdirektor in Brühl ist. Klauke bewege sich in einem anderen geistigen Raum mit hoher Konzentration und Perfektion.

Solche Ausstellungen führen in bizarre Vorstellungswelten, fernab von einfach nur neuen Dimensionen. Ein sehr persönlich gefärbter Bildspeicher wird durch Klauke generiert, eine echte Erfindung, wenn auch oft undurchdringlich. Die Auseinandersetzung damit schärft den Blick, erweitert den Horizont. Das ist das, was dieses Museum mit einem breiten Vermittlungsprogramm anstrebt. Neben der kostbaren Sammlung von Werken Max Ernsts - unter anderem ist in Brühl fast das gesamte grafische Werk versammelt - lohnt der Kunstausflug unbedingt. Wie immer ist es ratsam, eine Führung zu buchen. Die ganze Familie kommt auf ihre Kosten. Kinder kann man im nur fünf Minuten entfernt liegenden Fantasielabor unterbringen. Oder gleich selbst mitgehen und losbasteln.

(RP)
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