Monika Grütters "Künstler müssen Zumutungen sein dürfen"

Für die Kulturstaatsministerin ist die Erinnerungskultur elementar - auch für die Identität der deutschen Gesellschaft.

Als sie im Dezember 2013 zur neuen Kulturstaatsministerin ernannt wurde, gab es wenig Zweifel an ihrer Kompetenz für dieses Amt: Monika Grütters (54), die Arzttochter aus Münster, ist in der Kulturszene seit Langem bekannt, gilt als pflichtbewusst. Vieles, was sie anpackt, findet Beachtung. Manches wird heftig diskutiert - wie die im vergangenen Jahr verabschiedete Novelle zum Kulturgutschutzgesetz. Es soll die Bundesrepublik davor bewahren, dass national wertvolles Kulturgut ins Ausland verkauft wird.

Welche Rolle spielt die Kultur und spielen die Autoren in Zeiten, in denen die Demokratie in vielen Ländern gefährdet scheint?

Grütters Es gibt in vielen Ländern eine beunruhigende Rückwärtsbewegung in nationalistische, autoritäre Strukturen. Wenn in der Türkei die Totenglocke der Demokratie läutet, hat das Auswirkungen weit über die Türkei hinaus. Gerade wir in Deutschland mit unserer Vergangenheit haben eine große Pflicht, verfolgten Autoren nicht nur dort zu helfen. Kunst und Künstler müssen Zumutungen sein dürfen, weil sie das kritische Korrektiv eines Gemeinwesens sind. Wenn sie diese Rolle nicht mehr spielen dürfen, verliert die Kunst ihren Wert.

Bekommt dadurch Ihr Amt auch eine außenpolitische Note?

Grütters Ja, unbedingt. Wir verteidigen europäische Werte. Aber wir sind damit natürlich nur dann glaubwürdig, wenn es keine Lippenbekenntnisse bleiben und wir bereit sind, für diese Überzeugungen auch nach innen und außen entschieden einzustehen. Und klar ist: Ich sage die Sätze in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit selbstverständlich ist.

Wie schwierig ist denn Aufklärung in Zeiten von Fake News?

Grütters Dahinter steht ja oft ein Machtmissbrauch, der uns zwingt, unser eigenes Medienverhalten stärker zu reflektieren.

Aber Sie haben keine Sorge, dass auch die Bundestagswahl in Deutschland mit Fake News beeinflusst werden könnte?

Grütters Doch. Und außerdem werden Datenmonopole wie Google sehr schnell zu Deutungsmonopolen und damit natürlich auch zu Meinungsbildungsmonopolen. Wer falsche Inhalte verbreitet, ist Teil des Geschehens. Wir müssen uns fragen, wie wir die Werte, die wir uns in der analogen Welt mühsam erarbeitet haben, jetzt in der digitalen Welt verteidigen können. Im Netz gilt das Recht des Stärkeren, das heißt des größeren Konzerns; während in der analogen Welt demokratische Prinzipien herrschen, die eher die Schwächeren schützen. Wir sind an einer Stelle angekommen, wo es keinen bequemen Standpunkt mehr gibt und wir uns europäisch und national gegen Daten- und Machtmissbrauch vehement zur Wehr setzen müssen.

Können Sie selbst mit Kritik umgehen? Oder tut es manchmal doch weh?

Grütters Selbstverständlich trifft mich Kritik, gerade wenn sie persönlich ist und die Sachargumente im Hintergrund verschwinden. Aber ohne Kritik gibt es keinen Fortschritt. Wenn man es nicht schafft, selbstkritisch zu bleiben, wird man irgendwann unglaubwürdig.

Welche Kritik hat in den zurückliegenden vier Jahren denn am meisten wehgetan? Ich vermute mal, die Debatte um das Kulturgutschutzgesetz.

Grütters Diese Auseinandersetzung war wirklich bemerkenswert. Ich hatte es da mit kampagnenartigen Mechanismen zu tun. Ein anderes Problem war das dominante Lobby-Verhalten, gegen das selbst eine überzeugte Ministerin mit ihrem Haus nur schwer ankommt. Nicht zuletzt daran, wie teilweise die Kritik ins Persönliche abglitt, können Sie erkennen, dass Kultur nicht nur ein Schönwetteramt ist.

Was haben Sie aus dieser Debatte gelernt?

Grütters Es haben ja nur wenige Akteure, darunter nicht gerade arme Auktionshäuser, die mediale Debatte so eindrücklich geprägt - bis hin zu bösen Briefen. Das war eine Erfahrung, von der ich dachte, dass sie zur Kultur nicht passt. Ich habe es auch schlichtweg für unmöglich gehalten, dass sich eine deutsche Staatsministerin für Kultur ernsthaft dafür rechtfertigen muss, dass sie einige wenige national wertvolle Kulturgüter für die deutsche Öffentlichkeit erhalten will.

Bei dem Kulturgutschutzgesetz geht es auch um die Bewahrung historischer Zeugnisse.

Grütters Es geht vor allem um die Einordnung sichtbarer Zeugnisse unserer Vergangenheit. Aber wir tun uns in Deutschland nach wie vor mit dem Begriff des "national Wertvollen" sehr schwer, selbst bei diesem internationalen Fachterminus. Aber dennoch sollten wir nicht die Diskussion darüber verweigern, nur weil sie schwierig ist.

In absehbarer Zeit werden die letzten Zeugen des Naziterrors nicht mehr unter uns sein. Erzählen die Bilder dann stellvertretend die Geschichte?

Grütters Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Gerade weil wir die Geschichte mit Hilfe unserer kulturellen Zeugnisse erzählen und aufarbeiten können, habe ich nach meinem Amtsantritt 2013 die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste veranlasst und die Mittel für die Provenienzforschung verdreifacht. Ich erwarte und appelliere nachdrücklich, dass jedes Museum im Land seinen Bestand auf die Provenienz hin untersucht und belastete Werke ohne Wenn und Aber an die Erben zurückgibt. Jedes Haus soll sich dieser Aufgabe stellen; keines kann sich herausreden, dass dafür Geld und Personal fehlen, denn dafür werden die Mittel vom Bund bereitgestellt. Denn hinter jedem geraubten Kunstwerk steht ein menschliches Schicksal.

Aber die Zahl der Streitfälle über die Herkunft von Kunstwerken dürfte doch nach so vielen Jahren eher abnehmen?

Grütters Im Gegenteil. Das Interesse an den Familiengeschichten ist so groß, dass die Anfragen eher mehr als weniger werden. Ganz offensichtlich geht die dritte Generation, also die Enkel, unbefangener und umso offener damit um. Mir ist diese Erinnerungskultur wichtig, weil ich davon überzeugt bin, dass sie elementar für die Identität der deutschen Gesellschaft ist. Es wird für uns alle zu einer großen Herausforderung, wenn auch die letzten Zeitzeugen nicht mehr da sind.

Noch nie war ein Bundeskulturetat so hoch wie jetzt, nämlich 1,63 Milliarden Euro. Und jüngst sind Sie zur Landesvorsitzenden der CDU in Berlin gewählt worden. Das alles hört sich nach größerem Einfluss an.

Grütters Ach, die Kultur ist aus sich heraus stark. Der Landesvorsitz ist eine schöne Bestätigung für die langjährige politische Arbeit, auch für 22 Jahre als Parlamentarierin in der Wissenschafts- und Kulturpolitik. Ich habe Germanistik, Politik und Kunstgeschichte studiert, ich habe in einem Opernhaus vier Jahre gearbeitet, in Museen und für einen Verlag gearbeitet und eine große Kulturstiftung geleitet. Ich hab' das Rüstzeug für die Kulturpolitik also aus dem Berufsleben schon mitgebracht. Sich nicht lange in die Themen einarbeiten zu müssen, ist hilfreich, wenn man eine Pragmatikerin ist wie ich.

Sind Sie eine Netzwerkerin?

Grütters Ja. Wenn ich irgendetwas bin, dann das.

Nun bitte nicht lachen: es gibt Leute, die behaupten, sie könnten auch Kanzlerin? Ihr Büro zumindest ist ja im Kanzleramt untergebracht.

Grütters (lacht dennoch) Da habe ich andere Vorstellungen.

Ihre Amtszeit hat mit dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses begonnen. War das ein Vorzeichen?

Grütters Die politische Entscheidung dazu fiel natürlich früher, wobei ich erklärtermaßen zu denen gehöre, die sich an dieser Stelle durchaus auch ein modernes Gebäude, eine zeitgenössische Variante des Schlosses, hätten vorstellen können.

Sie haben für Aufmerksamkeit gesorgt, als sie freien Eintritt für die Museen des künftigen Humboldt Forums ankündigten. Wäre das auch ein Modell für andere Museen, nach dem Vorbild Großbritanniens?

Grütters Die Lage ist etwas kompliziert, weil das Humboldt Forum kein Museum klassischen Typs ist und sein soll, sondern eine Bildungseinrichtung, die sich mit den großen Fragen der Menschheit befasst. Mir geht es darum, Kulturorte und Häuser wie das Humboldt Forum zu einem selbstverständlichen Aufenthaltsort zu machen. Wie der Kaffeeladen gleich um die Ecke. Es ist eine Einladung, Weltbürger zu sein - und die gilt für jeden.

Kann also das Humboldt Forum Signalwirkung entfalten?

Grütters Die meisten Häuser sind auf Eintrittsgelder angewiesen. Sollte das wirklich Vorbild werden und die Bürgergesellschaft sich aufmachen, die fehlenden Einkünfte zu kompensieren - wie es mustergültig im Essener Folkwang Museum geschieht -, wäre das natürlich großartig. Wir dürfen aber nicht die derzeitigen Haushaltsnöte vieler Häuser übersehen. Das wäre unverantwortlich, weil viele, gerade kommunale Träger, mit dem Verzicht auf Einnahmen aus dem Eintritt überfordert wären.

Könnten Sie sich vorstellen, dass der Bund kulturell stärker als bisher auch in den Kommunen tätig wird?

Grütters Ich habe eine große Sympathie für das Kultur-Engagement der Kommunen. Sie sind in Deutschland die tüchtigsten Kulturförderer. Laut Verfassung ist dem Bund eine institutionelle Mitwirkung hier nicht möglich, und er ist auch nicht der Reparaturbetrieb der Länder, die zum Teil Pflichten nur mittelmäßig erfüllen. Aber eines versuchen wir immerhin: durch etliche Bundeskulturpreise - wie bei Kinos, Buchhandlungen Theatern und Musikclubs - die Kulturdichte, dieses großartige Netz geistiger Tankstellen, aufrechtzuerhalten. Das soll eine Ermutigung und Unterstützung sein für die zahlreichen Kleinkultur-Einrichtungen mit ihren vielen Mitarbeitern, die mit viel persönlichem Einsatz ein solches Angebot für uns alle schaffen und verteidigen.

(los)
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