Berlin Land NRW lässt sein Verhalten im Contergan-Skandal prüfen

"Es gibt Menschen, die hatten vor fast 60 Jahren Glück, und es gibt welche, die hatten Pech, weil ihre Mütter in gutem Glauben das Medikament Contergan eingenommen haben." NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) sagte das gestern in Düsseldorf. In Sichtweite der Ministerin saß einer jener an Armen und Beinen verstümmelten Menschen in seinem Rollstuhl und hörte schweigend zu.

Auch die Mutter dieses Contergan-Geschädigten hatte zwischen 1957 und 1961, in der das berüchtigte Schlaf- und Beruhigungsmittel der Stolberger Firma Grünenthal auf dem Markt war, während der Schwangerschaft gutgläubig zur bösen Arznei gegriffen. Deren weltweit bekannter Handelsname Contergan wurde zur Chiffre für den größten Arzneimittelskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Contergan-Wirkstoff Thalidomid schädigte nach Darstellung der Gesundheitsministerin in Deutschland rund 5 000 Kinder im Mutterleib; 2 400 der lebenslang Gezeichneten leben heute als Behinderte und Schwerstbehinderte Mittfünfziger in Deutschland; darunter sind 800 NRW-Bürger.

NRW geht es nunmehr darum, nicht nur, aber auch im Interesse der Contergan-Opfer durch Historiker der Universität Münster wissenschaftlich das Verhalten von NRW-Justiz und Landesmnisterien in den späten 50er Jahren ergründen zu lassen. Landesgesundheitsministerin Steffens: "Ich möchte Transparenz herstellen, denn Nordrhein-Westfalen hat damals in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt im Contergan-Skandal." Die Historiker Thomas Großbölting und Niklas Lenhard-Schramm wollen Erkenntnis- und Wissenslücken vor dem Hintergrund des einstmals laxen Umgangs mit dem Arzneimittelrecht schließen. Großbölting: "Wir müssen prüfen, ob alles mit rechten Dingen zuging." 2007 filmisch gestreute Spekulationen über Absprachen zwischen Contergan-Hersteller, Behörden und Politik nannte Steffens "nicht substanziell". Dennoch wolle man wissen, ob es "Dinge gab", die auch nach damaliger Rechtslage falsch waren. Den Forschern stehen 800 Bände aus staatsanwaltlichen und sonstigen behördlichen Quellen zur Verfügung. Das Ziel der 80 000-Euro- Studie ist es laut Großbölting, klüger zu werden, als es die damals mit der Contergan-Skandal Befassten gewesen seien.

Die Arzneimittelopfer erhielten Kapitalentschädigungen und monatliche Renten zugesprochen. Das Geld kam nach einem strafprozessualen Vergleich von 1970 von der Firma Grünenthal (100 Millionen D-Mark) und zusätzlich aus Bundesmitteln (mehrere hundert Millionen Euro). Die monatliche Höchstrente wurde 2013 durch Novellierung des Contergan-Stifungsgesetzes für Schwerstgeschädigte auf maximal 6 912 Euro festgesetzt.

(RP)
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