Konzerthäuser Magie der Akustik

Berlin · Seit der Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie wird oft über den Klang debattiert, der einen Saal auszeichnet. Wir vergleichen die deutschen Konzerthäuser: Wie gut klingt Berlin? Worin liegen Hamburgs Probleme? Und wie schneidet NRW ab?

Nachdem sich der Hype um die Elbphilharmonie ein wenig beruhigt und alle Welt begriffen hat, dass dies vielleicht ein Konzertsaal wie viele andere auch ist, dringen die kritischen Stimmen stärker an die Öffentlichkeit. Schon nach dem Eröffnungskonzert hatten viele Experten eingewandt, dass der Saal akustisch alles andere als optimal ist. Dass es ihm an Nachhall fehlt. Dass er zu trocken ist. Dass er unbarmherzig jeden Spiel- und Einsatzfehler aufzeigt. Gute Säle sind gnädig. Sie veredeln. Die Elbphilharmonie enthüllt.

Zugleich muss man solche Befunde vor dem sozusagen nationalen Kontext sehen; diese spannende Debatte ist seit dem ersten Ton aus der Elbphilharmonie eröffnet. Es hieß schon, sie klinge besser als die Berliner Philharmonie. Nun, dieses Duell gewinnt Berlin um Längen - und das hat nicht zwingend damit zu tun, dass dort, in Berlin, eines der besten Orchester der Welt spielt. Der Scharoun-Bau verfügt über eine deutliche größere Resonanz und klingt räumlicher. Das hat mit elementaren Prinzipien der Raumakustik zu tun.

Die Grundfläche der Elbphilharmonie ist wegen des Kaispeichers als Fundament recht gering, doch weil die Architekten weit mehr als 2000 Plätze unterbringen mussten, blieb ihnen nicht anderes übrig, als in die Höhe zu bauen. Leider sitzen überall dort, wo der Schall Wände als Reflexionsfläche benötigt, Menschen in Weinberghängen - und diese Menschen tragen Pullover, Jacken, Hochsteckfrisuren und Toupets. Sie absorbieren Schall und stehen als Reflektor nicht zur Verfügung. Der einzige relevante Reflektor befindet sich deutlich zu hoch im Saal der Elbphilharmonie, dieses hängende Ufo unter der Decke, zu dem der Primärschall von der sehr tiefen Bühne aus eine sehr große Entfernung überwinden muss. Das kostet wertvolle Zeit für einen breit gestreuten Raumklang, der über mehrere Ecken geht, Schall bündelt und verteilt, weiterleitet, vereint.

All dies kann die Elbphilharmonie leider nur in begrenztem Maße. Sie ist in der Tat vortrefflich, wenn ein Weltklasseorchester in allen Details gleichsam wie in einer MRT-Aufnahme zu hören sein soll - wenn man radiologisch den tiefsten denkbaren Blick in die Partitur mit akustischen Mitteln nachvollzogen haben möchte. Aber Musik ist mehr als die Schichtung von Stimmen, weil das Additiv erst durch den Raum zum Sound wird. Fällt der Raum als akustischer Katalysator aus, bleibt Musik roh und tönt pulverisiert.

Die Säle der Hauptstadt sind immer noch Spitzenklasse

Wohlan, wo stehen in Deutschland die wirklich gut klingenden Säle? Klingt die viel gepriesene Berliner Philharmonie dann vielleicht doch etwas suppig, wenn man bei Musik auch die Nuancen hören möchte? Das könnte sein, zumal jede Rundum-Bauweise mit einem zentralen Podium das Problem aufreißt, dass es etliche Plätze gibt, bei denen der Klang nicht schnell genug direkt ankommt oder - wegen des Raumvolumens - nicht schnell genug reflektiert werden kann. Nachhall hängt zwar mit dem Raumvolumen zusammen, ist aber an sich keine produktive Eigenschaft, sonst wäre der Kölner Dom der perfekte Konzertsaal (was er nicht ist, im Gegenteil). Gleichwohl: Für viele Arten von Musik ist die Berliner Philharmonie wunderbar. Sie hat Magie.

Ein Blick in andere Säle lehrt, dass es Räume gibt, in denen es immer gut klingt, egal was gespielt wird. Ein fürstliches Beispiel ist das Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Es sieht nicht nur nobel und altmeisterlich aus, es gehorcht auch dem Phänomen des Schuhkartons, der extrem viele Reflexionen ermöglicht, deren Summe einen sehr guten Klang macht.

Die dritte Metropole - München - hat dagegen ein Akustikproblem, gegen das jetzt effektiv zu Felde gezogen wird. Die vor Jahren mit großem Tamtam eröffnete Philharmonie am Gasteig erwies sich schnell als Multifunktionsgrab, das zwar vielen Institutionen Heimat bietet, aber im Saal selbst nur Durchschnittliches hinbekommt: Er klingt nach Beton und bietet weder in der Transparenz noch in der Entfaltung von Klang Vorzüge. Demnächst soll ein neuer Saal gebaut werden, dabei besitzt München längst einen sehr schönen Konzertsaal: den Herkulessaal in der Münchner Residenz. Er besitzt freilich den Nachteil, dass er überhaupt nicht modern, sondern ein altertümliches Schätzchen ist - und außerdem etliche Wurmlöcher in der Logistik besitzt. Und er ist kein bisschen repräsentativ. Münchens hartgesottene Musikfans lieben ihn indes unverbrüchlich.

Streifen wir weiter durch die Lande, so sind wir schnell in Leipzig, wo das Gewandhaus wie die Elbphilharmonie oder die Berliner Philharmonie einen sogenannten polygonalen Raum beherbergt, der also mehr als vier Ecken bietet. Auch hier ist das Podium ins Zentrum gerückt; das Publikum befindet sich ringsum, wodurch ein offener demokratischer Charakter mit kommunikativer Tendenz entsteht.

Das Geheimnis der vielen Ecken

Im Gewandhaus, das sehr schön klingt, kann man gut studieren, wie sinnvoll Reflektoren sind, die den Klang entsprechend umleiten. Sie sind erstens wichtig, um ihn im Raum zirkulieren zu lassen - je länger, desto besser -, und zweitens, damit die Musiker sich selbst auf dem Podium gut hören. Dies ist das Problem vieler Säle, auch desjenigen in Hamburg. Als die Musiker des NDR-Orchesters erstmals im Saal spielten, war er leer - es gab also wenig Absorption durchs Publikum, und der Nachhall konnte den Klang optimieren. Bei gefülltem Haus waren die Musiker schon weniger begeistert, aber das durften sie nicht laut sagen, weil der Mythos gleich ins Wanken geraten wäre.

Hans-Peter Tennhardt, der Akustiker des Gewandhauses, hat einmal sehr gut beschrieben, worauf es ankommt, wenn man als Zuhörer keine präzisen Erwartungen an einen Saal hat, aber wissen will, wo man gut sitzt und hört: "Wenn ich den Dirigenten erleben will, ist für mich hinter dem Orchester der optimale Platz. Wenn ich die Streicher besonders erleben will, dann setze ich mich in den vorderen Bereich des Zuschauerraumes. Will ich eine hohe Durchmischung des Klangbildes haben, dann sollte ich mich in das erste bis zweite Drittel des Saales setzen. Auf seitlichen Plätzen wird immer eine Instrumentengruppe dominieren, die ich ja auch optisch besser wahrnehme als andere. Diese Klangverschiebung muss ich auch wollen, dann ist für mich dieser Platz optimal." Diese Worte sind auf alle Säle übertragbar.

Spannende Reise durch die Republik

Reist man weiter durch die klingende Republik, so macht man als Klassikfreund an manchen Orten überaus gern Station: beispielsweise in Bamberg, wo die dortigen Symphoniker einen herrlich offenen und klanglich überwältigenden Saal besitzen. Oder in Frankfurt, wo die Alte Oper gerade für klassische Musik exzellent klingt. Ich habe dort Mahler-Symphonien mit dem HR-Sinfonieorchester unter Eliahu Inbal oder Paavo Järvi gehört, die in ihrer räumlichen Resonanz schier unschlagbar wirkten. Auch ein Klavierabend mit Keith Jarrett dort war eine Erbauung ersten Ranges. Baden-Württemberg, das Land der fleißigen Baumeister, hatte nicht überall Glück. Die Stuttgarter Liederhalle klingt nicht mehr als ordentlich. Dagegen ist das Festspielhaus Baden-Baden in jeder Hinsicht repräsentativ. Ein Kleinod verbirgt sich in Freiburg, wo das Konzerthaus durch einen wunderbaren Atem besticht, der immer kammermusikalisch und feinnervig bleibt.

Der Westen leuchtet und bietet akustische Schätzchen

In NRW befindet sich auf engem Raum die größte Zahl von Konzerthäusern weltweit. Aber nicht alle klingen sehr gut. Man muss nur in die Essener Philharmonie fahren, um - ein feines Gehör vorausgesetzt - die Tücken eines Saals zu erleben. Das Podium befindet sich auf dem tiefsten Niveau des Saals, der Klang kann also nur nach oben steigen. Leider verlieren die Geigen dabei an Glanz, sie kommen über die ersten Hörerreihen nicht hinweg und bleiben dort hängen. Hinzu kommt, dass das Podium relativ klein ist, wodurch der Hörer bei groß besetzten Symphonien schon mal eine Aufführung für Blechbläser mit entfernt wahrnehmbaren Streichern erlebt. Wie kommt das? Die Blechbläser sitzen in Essen mit dem Rücken zur Podiumswand, was ihre Schallsignale unmittelbar potenziert - die Rückwand des Podiums ist wie eine Verstärkerbox. Bei kleineren Besetzungen ist dieses Manko nicht so auffällig.

Die Kölner Philharmonie hat auf den ersten Blick ähnliche Tücken; weil sie sich aber amphitheatralisch öffnet, ist das Bläserproblem dort deutlich geringer als in Essen. Der Dortmunder Saal klingt sehr aufgeräumt und hell, hat aber nur wenig Geheimnis. Dagegen ist der neue Konzertsaal in Bochum ein Fest. Hübscher Kontrast: In hellem Holz klingt es dunkel und sonor, sehr atmosphärisch und mit geradezu berückendem Nachhall. In Bochum erlebt man beispielhaft, dass Nachhall eine ganz wichtige Funktion besitzt: Zum einen verstärkt er, zum anderen fügt er dem Direktschall zwischen Instrument und Hörer (der bei akustischen Berechnungen immer das wichtigste Phänomen ist) eine Gloriole, einen geheimnisvollen Spiralnebel bei. Dadurch wird er weniger knallig und gewinnt an Vitalität und Delikatesse. Ähnliches gilt für die herrliche Wuppertaler Stadthalle, in der alle Orchester der Welt mit Liebe gastieren. Auch die Duisburger Mercatorhalle - die nicht gerade zu den Diven der Konzertsaal-Architektur zählt - steht und klingt eher günstig.

Düsseldorfs Tonhalle behauptet sich mit Bravour

In früheren Jahren haben wir auf diesen Seiten regelmäßig ein Wort fallen lassen, und alle rheinischen Musikfreunde wussten, was gemeint ist: Klopfgeist. In der Düsseldorfer Tonhalle gab es ein absurdes akustisches Phänomen, das etliche Konzerte nachhaltig kontaminierte. Durch die Kuppelbauweise im alten Planetarium traf ein Schallsignal mit kurzer Verzögerung auf sein Echo. Tock-tock! Da klopft er wieder, hieß es bei Klavierabenden. Seit durch den Umbau der Tonhalle wortwörtlich die Quadratur des Kreises gelang (in die Kuppel wurden rechte Winkel eingezogen, was den Schall länger in der Luft hält) und der Schallreflektor über dem Podium massiv verändert wurde, klingt die Tonhalle beeindruckend. Sie ist sicher einer der auch akustisch schönsten Säle Deutschland. Die Elbphilharmonie ist ein genialer Bau, akustisch zieht sie gegenüber Düsseldorf den Kürzeren. Das ist keine patriotische Hochstapelei, sondern mit physikalischen Messtechniken leicht nachzuweisen.

Dass unvergessliche Konzerte nicht selten auch gegen die Gesetze der Physik zustande kommen, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

(w.g.)
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