Düsseldorf Mit Scheidungskindern ehrlich sprechen

Düsseldorf · Lange war Trennung vorwiegend ein Thema der Erwachsenen. Dabei sind jedes Jahr mehr als 130.000 Kinder betroffen.

Sie werden nicht gefragt. Wenn da allmählich die Zwietracht ins Haus einzieht, wenn Mama und Papa nicht mehr vernünftig miteinander reden können, sondern genervt sind oder enttäuscht oder wütend aufeinander. Kinder sind die ohnmächtigen Beobachter, wenn die Partnerschaft der Eltern in die Brüche geht. Plötzlich gerät ihr gesamtes Lebensgefüge ins Wanken, steht auf dem Spiel, was ihnen das Wichtigste ist: die Geborgenheit bei den Eltern, das vertraute Gefühl, zusammen zu gehören, füreinander einzustehen, geschützt zu sein. Und all dem sind sie ausgeliefert, es bricht über sie herein, und sie können nichts ändern.

Auch wenn die Zahlen zuletzt leicht rückläufig waren, noch immer wird jede dritte Ehe in Deutschland geschieden. Natürlich ist das ein riesiges Feld für die Psychologie, die sich mit Partnerschaftsfragen beschäftigt von der Wahrnehmung erster kleiner Risse in der Beziehung bis zum Umgang mit Gefühlen wie Verzweiflung, Schuld oder Angst vor dem Alleinsein. Das alles betrifft die Erwachsenen. Doch eine andere Zahl bekommt inzwischen mehr Aufmerksamkeit: Mehr als 130.000 Kinder sind jedes Jahr von Scheidungen betroffen. Jene, deren Eltern sich trennen, vorher aber nicht verheiratet waren, sind da noch gar nicht mitgezählt.

Wie schmerzhaft und verängstigend die Trennung der Eltern für diese Kinder wird, hat viel damit zu tun, wie sie die Entwicklung zwischen ihren Eltern miterleben und in welche Rolle sie nach der Scheidung geraten. Ob die Erwachsenen ihre Emotionen zeigen und erklären und das Kind Kind bleiben darf. Wie bei vielen bedrohlichen Erfahrungen im Leben kann allein die Vorstellung von dem, was Scheidung bedeutet, viel schlimmer sein als das Ereignis selbst. Beflügelt werden solche Negativ-Fantasien oft vom Schweigen der Erwachsenen, die sich schuldig fühlen am Gefühlschaos ihrer Kinder, die zugleich aber mit den eigenen Empfindungen beschäftigt sind und versuchen, wenigstens von den Kleinen alles Schmerzliche fernzuhalten.

"Eltern und Kind einigen sich dann insgeheim darauf: Traurigkeit kommt bei uns nicht vor", sagt die Psychologin Katharina Grünewald, die sich auf die Begleitung von Patchwork-Familien spezialisiert hat. Das sorge aber nur dafür, dass sich die Traurigkeit andere Wege suche. Kinder werden dann manchmal wütend, aggressiv oder lassen ihre Gefühle gar nicht raus und werden krank oder depressiv. Das sei in etwa, als maure man an einem Haus alle Fenster zu. Dann staue sich die Energie im Haus oder müsse durch andere Ritzen entweichen.

Manche Scheidungskinder reagieren auch weniger auffällig, aber für sie nicht minder bedenklich, nämlich durch Überangepasstheit. "Kinder im Superman-Lillifee-Alter sind oft noch dem magischen Denken verhaftet", so Grünewald, "sie glauben, dass sie das Zerbrechen ihrer Familien verursacht haben - und dass sie darum auch die Folgen heilen können." Solche Kinder lernten, die kleinsten Regungen ihrer Eltern zu lesen und überlegten sofort, was sie tun könnten, damit es Mama oder Papa besser gehe. "Wenn sie also spüren, dass ihre Traurigkeit die Eltern noch trauriger macht, schalten sie die eigenen Empfindungen aus - manchmal bis sie erwachsen werden und irgendwann merken, dass sie zum Beispiel gar nicht wütend werden können."

Nachdem Scheidung lange ein Erwachsenen-Thema war, gibt es inzwischen auch zahlreiche Ratgeber, die sich mit den Bedürfnissen von Scheidungskindern beschäftigen. Das gerade erschienene Buch "Und was wird jetzt mit mir?" richtet sich sogar an die Kinder selbst, greift deren Fragen auf und beantwortet sie in verständlichen kurzen Texten. Da geht es dann um Themen wie: Bin ich schuld am Streit? Kann ich selbst entscheiden, wo ich wohnen möchte? Oder: Kann ich mehrere Eltern haben? Es geht also um das Durcheinander auf der Beziehungsebene, das eine Scheidung hinterlässt. Es geht auch um praktische Fragen, etwa wie man es schafft, beim Pendeln zwischen den Eltern an alles zu denken. Oder was Zufluchtsorte sein können, wenn einem alles zu viel wird. Oder ob man den Freunden von der Trennung erzählen muss.

Scheidungen sind gesellschaftliche Realität, genau wie die neue Vielfalt an Familienkonstellationen, die sich auch nach Trennungen ergeben. Trotzdem stürzt fast jede Trennung die Beteiligten in emotionale Belastung. Und offenbart ein generelles Phänomen: die Schwierigkeit der Erwachsenen, zu schlimmen Wahrheiten zu stehen, sie auszusprechen und ihren Kindern zuzumuten. Also nicht irgendeine "Strategie zu fahren", ein Krisenmanagement zu betreiben, wie sie es vielleicht im Beruf erlernt haben, sondern wahrhaftig zu sein. Das bedeutet: Gefühle zu zeigen, sie aber nicht einfach beim Kind abzuladen, sondern ihm zu signalisieren, dass man sich selbst um sein Wohlergehen kümmert. Dann können Kinder es den Erwachsenen gleichtun, herauslassen, was sie empfinden, und Trost suchen - etwa bei Oma und Opa. Doch dazu müssen auch die Großeltern lernen, die Traurigkeit ihrer Enkel auszuhalten, nicht zu beschwichtigen, nicht die Packung Eis aus dem Kühlschrank zu zaubern, damit das Kind nicht weint, wenn Papa fährt oder Mama mit einem neuen Freund ausgeht.

Das eigentlich Schmerzliche an einer Scheidung ist die Endgültigkeit: Bindungen in einer Familie, die Bestand haben sollten, gehen unwiderbringlich verloren. Oder wie es in dem Kinderratgeber zu der Frage: Sind wir jetzt noch eine richtige Familie? heißt: "Die Familie, wie du sie kennst, gibt es nicht mehr." Je eher Eltern sich und ihren Kindern eingestehen, dass das so ist, dass etwas Vertrautes endet, desto eher haben alle gemeinsam die Chance, etwas Neues beginnen zu lassen. Und es bewusst zu gestalten.

(dok)
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