Johannesburg Die Stimme Südafrikas ist verstummt

Johannesburg · Im Alter von 90 Jahren ist die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer in ihrem Haus in Johannesburg gestorben. Sie kämpfte gegen die Apartheid in ihrem Land und wurde 1991 mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Überzeugungen machen stark. Und wenn sie nicht zur Ideologie erstarren, sondern lebbar und den Menschen zugewandt bleiben, dann lassen sie uns unbeugsam werden. Wie die Autorin Nadine Gordimer, die unerschrockene Kämpferin gegen die Apartheid, die man irgendwann die große alte Dame der südafrikanischen Literatur zu nennen begonnen hatte, als könne man mit dieser betulichen Formulierung die Radikalität ihres Werkes wie ihres Lebens entschärfen. Im Alter von 90 Jahren ist sie jetzt in Johannesburg gestorben.

Natürlich ist Gordimer, die Tochter jüdischer Einwanderer und Mitstreiterin des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) für die Gleichberechtigung der Rassen, mit der Zeit ein Star geworden: die Stimme des schwarzen Südafrikas, eine Chronistin des Freiheitskampfes. 1974 hatte Nadine Gordimer zudem den renommierten Booker-Prize und 1991 in Stockholm gar den Literaturnobelpreis bekommen. Spätestens danach war ein sogenanntes normales Leben nicht mehr denkbar. Und so wurde manches notwendig, was ihrer eigenen Überzeugung zutiefst widersprach: wie der Stacheldraht auf der Mauer rund um ihr Haus in einem alten Vorort von Johannesburg. Eine Schutzmaßnahme bloß, sicherlich. Aber keine überflüssige. Denn 2006 wurde sie in ihrem Haus von drei Männern beraubt; es ging den Einbrechern um Geld und Schmuck. Doch als man der damals 83-Jährigen auch den Ehering nehmen wollte, weigerte sie sich vehement, worauf sie in eine Kammer gesperrt und später vom Sicherheitsdienst befreit werden musste.

Dieser Widerstand war mehr als nur das resolute Verhalten einer rüstigen alten Frau. Weil der Ring sie nicht nur an die Liebe zu ihrem 2001 verstorbenen Ehemann erinnerte. Ihr Gatte, der Galerist Reinhold Cassirer, entstammte der legendären deutschen Kunsthändlerfamilie und hatte 1934 vor den Nazis nach Südafrika fliehen müssen. Auch das Lebensschicksal ihres Mannes machte sie hellhörig und feinnervig für Verfolgte, für unterdrückte Minderheiten und Menschen, denen man die Würde nahm.

Dennoch hat Nadine Gordimer keine politische Literatur und - bis auf die Essays - selten Protestprosa geschrieben. Es ist ihr oft um den Kampf gegen Klischees gegangen, um die Behauptung des Einzelnen in einer Welt gesellschaftlicher Zwänge. Es waren die Selbst- und Weltbefragungen, die ihre Worte beflügelten. Die Menschen hinter der Politik sind das große Thema vieler ihrer Geschichten. "July's Leute" von 1981 beschreibt eine Welt ohne Apartheid, "Burgers Tochter" von 1979 gilt als Schlüsselroman über den Anwalt Nelson Mandelas, und in "Fang an zu leben" wird die Krebserkrankung des Helden zum Auslöser, ein bis dahin in großer Selbstzufriedenheit geführtes Leben nach dem eigenen Daseinssinn in großer Offenheit zu befragen. Das ist ein Prinzip auch ihrer Literatur, die lieber beunruhigende Fragen an den Leser richtet als den Versuch unternimmt, letztgültige Antworten zu geben.

15 Romane, 200 Kurzgeschichten und zahllose Essays sind Ausdruck von Gordimers Drang und Überzeugung zu schreiben. Gegen Ende ihrer Schaffenskraft hat sie auch literarisch eine eher bittere Bilanz gezogen. In "Keine Zeit wie diese" wird die Geschichte zweier Menschen erzählt, die einst für die Freiheit Südafrikas gekämpft hatten und nun desillusioniert auf ihr Leben zurückschauen.

Und darin eingeschlossen ist eine Kritik am ANC sowie an der Misere der aktuellen Bildungspolitik ihres Landes. Seitenlange Diskussionen über die gesellschaftliche Gegenwart des Landes haben den Roman "Keine Zeit wie diese" zwar gehaltvoll, aber auch mühsame Lesekost werden lassen.

Nadine Gordimers Überzeugung galt immer der Beziehung zwischen den Menschen. Im Grunde, so hat sie einmal gesagt, schreibe sie gar nicht über Politik. "Ich erkunde, ich entdecke, was direkt mit dem Leben von Menschen zu tun hat." Als Schriftstellerin lebe man gegen alles, was einen einschränkt.

Ihr Menschenbild war nie bestimmt durch eine Religion oder einen Glauben an Gott. Vielleicht waren es die sehr konkreten Erfordernisse des Alltags, die sie aus Überzeugung zur Agnostikerin gemacht haben. Sie wollte weder die Verantwortung für jedes Unrecht noch die Legitimität zum engagierten Handeln einer jenseitigen Macht überantworten. Was es zu verändern galt auf dieser Welt, mussten schon die Menschen verändern - und zwar hier und am besten jetzt. Sie hat Widerstandskämpfer bei sich beherbergt und den Kontakt zu Nelson Mandela schon während der Gerichtsprozesse gesucht.

Das Leben in solch gesellschaftlicher Unmittelbarkeit und auch Notwendigkeit kann die Welt auch entzaubern. Nüchtern hat Gordimer das Leben gesehen: "Man kommt auf die Welt, man ist ein Baby, dann wächst man zu einem Kind, erlebt die stürmische Jugend, reift zu einem Erwachsenen. Dann wird man älter, bis man endgültig alt ist. Und dann stirbt man. Das war's."

Spätestens da wird man Gordimer widersprechen müssen, auch mit Blick auf ihr literarisches Werk, das den Menschen nie aus den Augen verloren hat.

Überfallen wurde sie damals daheim von drei jungen Schwarzen. Ihre Reaktion danach: Hätte man diesen Leuten Brot, Arbeit und eine Bleibe gegeben, gäbe es keinen Grund für sie, andere Menschen zu überfallen.

(RP)
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