Ruhrtriennale Nächster Halt: Marl

Bochum · Mit einer neuen Spielstätte und dem Thema "Glauben" startet die nächste Ruhrtriennale am 12. August. Das Festival geht wie immer über knapp sechs Wochen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - die Losung der Französischen Revolution gilt heute als europäischer Grundwert. Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons möchte sie mit der neuen Spielzeit auf den Prüfstand stellen: Wie wichtig sind sie uns? Müssen wir sie hinaus in die Welt tragen? Deshalb formuliert das Kulturfestival unter seiner Leitung auch einen politischen Anspruch, es diskutiert gesellschaftliche und religiöse Fragen.

Mit dem Antritt seiner Intendanz führte Johan Simons im vergangenen Jahr ein neues Format zur Eröffnung der Ruhrtriennale ein: die Festspielrede. Mit der Einladung von Carolin Emcke ist seinem Team jetzt ein echter Coup gelungen - und ein Stück Profilierung auf dem Weg zum politischen Kulturfestival. Im Juni ist die freie Publizistin mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. "Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt - vor allem in ihren Essays und ihren Berichten aus Kriegsgebieten - auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können", heißt es in der Jurybegründung. Am Freitag, 12. August, 18 Uhr, spricht sie bei freiem Eintritt in der Jahrhunderthalle Bochum.

Auch als Reaktion auf die Flüchtlingskrise und die diffusen Ängste und manchmal kruden Diskussionen, die sie hierzulande nach sich gezogen hat, beschäftigt sich die Ruhrtriennale mit dem Thema Glauben. An den Münchner Kammerspielen hat Johan Simons das Projekt "Urban Prayers" ins Leben gerufen und es jetzt für das Ruhrgebiet modifizieren lassen. Das Stück ist aus einer ausgedehnten Recherche im religiösen Leben des Ruhrgebiets entstanden. Schauspieler und Mitglieder des Chorwerks Ruhr als "Chor der Gläubigen" führen es in Gebetshäusern verschiedener Glaubensrichtungen auf - wie der Ditip-Moschee in Duisburg-Marxloh (14. August), dem "House of Solution" der afrikanischen Gemeinde in Mülheim an der Ruhr (21. August) oder der Lutherkirche Dinslaken-Lohberg (4. September). ",Urban Prayers Ruhr' ist auch ein Projekt, mit dem wir rausgehen wollen aus den Kultur-Tempeln und auf die Leute zugehen möchten", sagt Johan Simons. "Sonst ist es ja meistens umgekehrt."

Auch die große Musiktheater-Produktion "Die Fremden", die der Intendant selbst inszeniert, beschäftigt sich mit dem Thema Glauben. Es basiert auf dem Roman "Der Fall Meursault" des Algeriers Kamel Daoud, der dem namenlosen Araber, der in Albert Camus "Der Fremde" ermordet wird, einen Namen und eine Geschichte gibt. "Er erzählt von einer Gesellschaft, wie ich sie aus den Niederlanden der 50er-Jahre kenne", sagt Johan Simons: "Wir wurden sehr streng religiös erzogen. Ich als Protestant durfte nicht mit einem katholischen Mädchen gehen. Und ich bin froh, dass es Romanschreiber gab, die davon als Unfreiheit, als Beschränkung erzählt haben." Für die Inszenierung, die am Freitag, 2. September, Premiere hat, entdeckt das Team der Ruhrtriennale eine neue Halle: die Kohlenmischhalle der Zeche Auguste Victoria in Marl, die bis Ende vergangenen Jahres noch in Betrieb war. Das Ensemble Asko Schönberg spielt unter der Leitung von Reinbert de Leeuw Musik von György Ligeti, Mauricio Kagel und Claude Vivier.

In allen Spielzeiten von Johan Simons' Ruhrtriennale bringt der belgische Regisseur Ivo van Hove jeweils einen Roman des Niederländers Louis Couperus auf die Bühne. Wer vergangenes Jahr im Salzlager der Zeche Zollverein die Inszenierung "Die stille Kraft" erlebt hat, wird kaum umhin kommen, in diesem September (Premiere: 16.9.) in die Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck zu reisen. Van Hove hat 2015 einen sehr sinnlichen und auf allen Ebenen intensiven Theaterabend über die problematische Kolonialgeschichte in "Niederländisch-Indien", dem heutigen Indonesien, erzählt. Mit beständigem Bühnenregen ließ er mit einem Flügel auch die arrogante Haltung der "zivilisierten Europäer" aufweichen, verband mit starker Hand große Bilder zu einem stimmigen Ganzen. Dieses Jahr widmet er sich dem Thema Kolonialismus aus einer anderen Perspektive, der des Romans "Von alten Menschen, den Dingen, die vorübergehen". Louis Couperus hat ihn 1906, sechs Jahre nach "Die stille Kraft", geschrieben als psychologisches Sittengemälde. Er erzählt von einem in Niederländisch-Indien begangenen Mord, der noch Jahrzehnte später einen zerstörerischen Einfluss auf die in Den Haag lebenden, über 90-jährigen Ottilie und Takma hat.

(RP)
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