Neuer Versuch zur Umweltrettung

Zwanzig Jahre nach dem ersten großen Umweltgipfel in Rio de Janeiro treffen sich Experten und Politiker erneut in Brasilien. Doch die Bilanz fällt nicht gut aus – bei den meisten Problemen fehlen deutliche Fortschritte. Auch diesmal wird es ein zähes Ringen geben.

"Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine Festschreibung der Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Nationen, eine Verschlimmerung von Armut, Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie die fortgesetzte Zerstörung der Öko-Systeme, von denen unser Wohlergehen abhängt."

Düsseldorf Diese beiden Sätze sind gealtert, aber heute noch so aktuell wie damals, als sie geschrieben wurden: 1992 in Rio de Janeiro als Beginn des Abschlussdokuments eines der ersten großen internationalen Umweltgipfel. Die Konferenz "Earth summit" galt als Wegbereiter des Umweltschutzes, die Geburtsstunde der "Agenda 21". Ein Aktionspaket sollte die drängendsten Probleme angehen und nicht weniger tun, als "die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten".

Zwanzig Jahre später treffen sich die Verantwortlichen für Umweltschutz wieder in Rio de Janeiro, doch große Feierlichkeiten angesichts des Jahrestags wird und darf es nicht geben. Die britische Wissenschaftszeitung "Nature" formuliert etwas zynisch, dass sich nur ein paar Dinge im Umweltbereich deutlich verbessert hätten: Zum einen die Rhetorik, mit der die Staaten weltweit von ihren Fehlleistungen ablenken. Zum anderen der beeindruckend wachsende bürokratische Apparat, mit dem die Folgen der Umweltzerstörung wissenschaftlich dokumentiert werden.

Das klingt bitter, stimmt aber wohl. Optimisten in der Öko-Bewegung erzählen gern ein paar Erfolgsgeschichten. So wurde das Ozonloch erfolgreich bekämpft und der Verbrauch der ozonschädigenden Substanzen ging seit 1992 um 93 Prozent zurück. Die Zahl der Naturreservate ist deutlich gestiegen, ein paar besonders medienwirksame Tiere wie zum Beispiel seltene Tiger wurden vor dem Aussterben geschützt.

In sehr vielen Großstädten hat sich zudem die Luftqualität verbessert. Die Erklärung dafür: "Die am stärksten Schadstoffe emittierenden Regionen sind auch die am meisten geschädigten", sagt Meinrat Andreae, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Es bestehe vor Ort also eine starke lokale und regionale Motivation, Emissionen zu reduzieren.

Doch nimmt man die regionale Brille ab, ist keine globale Trendwende zu erkennen. Beispiele: Die Kunststoffproduktion wurde in den vergangenen 20 Jahren um 130 Prozent gesteigert, also mehr als verdoppelt – die Hälfte davon wird nur einmal verwendet. Als Folge sind auf den Meereskarten im Pazifik schon Strömungssysteme in einer Größe wie Mitteleuropa verzeichnet, in denen große Mengen Plastikmüll umhertreiben.

Die Nahrungsmittelproduktion wuchs seit dem "Earth Summit" um 45 Prozent, also fast doppelt so stark wie die Weltbevölkerung – aber trotzdem hungern noch immer mehr als eine Milliarde Menschen. Statistiken mit diesen Details gibt es endlos viele; die meisten bezeugen die gleiche negative Tendenz. Wer böse ist, bezeichnet das als Dokument des kollektiven Versagens. Wenn die Welt untergeht, wird niemand sagen können, er habe davon nicht gewusst.

Besonders wichtig sind zwei Entwicklungen: Der weltweite Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid ist seit 1992 fast kontinuierlich um insgesamt 36 Prozent gestiegen. Zwar haben die entwickelten Länder den Anstieg auf acht Prozent drosseln können, doch die Schwellenländer blasen 64 Prozent mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre und erzeugen mittlerweile mehr als die Hälfte der klimaschädigenden Emissionen. Das Kyoto-Protokoll über eine rechtlich verbindliche Verringerung der Treibhausgase ist ausgelaufen, eine Nachfolgevereinbarung auch bei den nächsten Verhandlungen im November in Doha nicht in Sicht.

"Besonders besorgniserregend ist, dass die Kohlenstoffeffizienz, also das Maß für die Menge an Wirtschaftskraft pro Menge emittierten CO2, in den letzten Jahren nicht mehr anstieg", sagt Meinrat Andreae, "man sieht, dass wir weit über den Szenarien liegen, die in den 90er Jahren aufgestellt wurden, sogar über dem damals als Extremfall aufgestellten Szenario". Im Klartext: die verbesserte Technologie hat nicht dazu geführt, dass die Wirtschaft klimafreundlicher wird.

Gefährlich auch das Verschwinden der Arten. 30 Prozent der Amphibien- und 21 Prozent der Vogelarten sind heute vom Aussterben bedroht, berichten die UN, anderen geht es nicht besser. "Die Ursache sind Zerstörung der Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen, Umweltverschmutzung, Klimawandel und auch invasive Arten, die durch den weltweiten Verkehr in neue Regionen gelangen und heimische Arten verdrängen", sagt Eberhard Brandes vom Umweltverband WWF.

Zuweilen sind es wohl auch die Interessen der Großindustrie, die den Tieren das Überleben erschweren. So sollen die geplanten Maßnahmen gegen die Überfischung der Meere nicht bis Ende dieses Jahres, sondern erst 2020 umgesetzt sein. Weil die Umweltsünden gut dokumentiert sind, ist auch klar, was eigentlich nötig wäre: das internationale Seerecht müsste dafür geändert werden – nicht nur die USA verweigern sich.

Es gehört zum Schicksal der Bemühungen um Umweltschutz, dass kurzfristige Probleme häufig einen höheren Stellenwert haben. So werden US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin werden nicht am Gipfel in Rio teilnehmen. Umweltminister Altmaier und Entwicklungsminister Niebel vertreten Deutschland. Altmaier sagte gestern in Rio: "Wir sind noch weit entfernt von dem, was ich als einen Erfolg bezeichnen würde."

(RP)
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