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New York am Rhein

Es ranken sich Legenden um sie, dabei kochen sie auch nur mit Wasser, fluchen über das Wetter, gehen morgens zur Arbeit, stimmen ihre Instrumente, gucken, dass sie den Einsatz nicht verpassen, und essen abends nach dem Konzert einen Burger. Aber es sind eben die Musiker der "Big Five", jener fünf großen US-amerikanischen Orchester, die an der Definition, was ein perfektes Musizieren ist, maßgeblich mitgewirkt haben. Natürlich gibt es die Wiener und Berliner Philharmoniker, das Concertgebouw Orchestra Amsterdam, das Orchestre de Paris oder das London Symphony Orchestra. Aber die Orchester aus New York, Chicago, Boston, Philadelphia und Cleveland gelten seit je her als Eliten, etwas verzogen und gönnerhaft, in den Manieren nicht ganz optimal - weil diese Orchestermusiker bereits zwanzig Minuten vor Beginn des Konzerts auf der Bühne sitzen, sich warmspielen, Schwätzchen halten. Das klingt ziemlich kakophonisch, doch weil alle wissen, dass mit dem Eintritt des Dirigenten alles Unzivilisierte einer höheren, ja, der allerhöchsten Ordnung weicht, hat man sich daran gewöhnt. Und nimmt es lächelnd in Kauf: Die dürfen das.

Die Frage, welches der "Big Five" das beste Orchester ist, führt in den engen Bereich der Glaubensfragen und kann nicht abschließend beantwortet werden. Natürlich hat Boston einen unfassbaren Ruf; gewiss macht Chicago aus Hamburgs Elbphilharmonie einen phänomenal klingenden Saal; natürlich ist der Luxus aus Philadelphia berühmt; gewiss ist Cleveland durch die menschenfeindliche, aber maximal lehrreiche Schule von George Szell gegangen. Aber die New Yorker Philharmoniker sind eine Klasse für sich. Vor allem haben sie ihre Virtuosität immer mit immenser Musizierlust verbunden; das hat mit den Chefdirigenten zu tun, die das Orchester unauslöschlich geprägt haben: Arturo Toscanini. John Barbirolli. Dimitri Mitropoulos. Pierre Boulez. Lorin Maazel. Und vor allem: Leonard Bernstein. Das ist eine Liste, wie sie die Welt kein zweites Mal erlebt hat.

Dieses Weltklasse-Orchester kommt nun nach Deutschland, nach Düsseldorf. Die Erwartung ist riesig, denn es gibt ein wunderbares Programm und einen ebensolchen Gastsolisten. Das ist der Geiger Frank Peter Zimmermann, der in der Tonhalle das zweite Violinkonzert von Sergej Prokofieff spielen wird. Und das Orchesterstück nach der Pause riecht nach Brillanz und Parade eines Weltklasse-Orchesters: Es gibt die "Symphonie fantastique", jenen in Töne gegossenen Schauerroman des französischen Komponisten Hector Berlioz, der in fünf Sätzen die Geschichte einer romantischen Liebe schildert, die in Todesfantasien und Fieberträumen erlischt. Vor der Pause erklingt die raffinierte Orchesterkomposition "The Chairman Dances" von John Adams, eine Auskopplung aus seiner Oper "Nixon in China"; dieser für Orchester gesetzte Foxtrott gilt als ein musikdramatischer Meilenstein der Minimal Music.

Wer dieses New Yorker Orchester am Ort seines täglichen Wirkens erlebt, erlebt eine geradezu archetypische Kommunikation zwischen Alter und Neuer Welt. Selbstverständlich ist das europäische Repertoire die tägliche Herausforderung, die auch das Publikum immer wieder anzieht. Auf der anderen Seite sieht sich das "New York Philharmonic" als Anwalt der US-amerikanischen Musik - von Komponisten wie Aaron Copland, Elliot Carter oder eben den Minimalisten. Als ich das Orchester jetzt besuchte, spielte es an einem Abend lauter Werke von John Adams, darunter die überwältigende "Harmonielehre", ein großsinfonischer Exzess über Rhythmus, Wucht und Klangfarbe.

Aber sie spielen eben unter Leitung ihres Chefdirigenten Alan Gilbert auch Musik von Gustav Mahler. Beim Konzert in der New Yorker Geffen Hall (im Lincoln Center direkt neben der Metropolitan Opera) erklang die 4. Symphonie G-Dur von Gustav Mahler. Gilberts Mahler ist kraftvoll und wehmütig zugleich, er drängt voran und lässt sich Zeit zu schlendern. Das interpretiert Gilbert deshalb so intensiv, weil er die Nähe der beiden Welten in sich selbst spürt: In seinen Jahren als Chefdirigent des Königlichen Orchesters Stockholm verliebte er sich in eine Cellistin, die heute seine Ehefrau und die Mutter seiner drei Kinder ist. Ihre gemeinsame Zeit verbringen sie in New York (wo Gilbert auch unterrichtet) und Schweden. Gilbert sagt von sich selbst, dass er längst wie ein halber Europäer denkt.

Die Tage mit dem New Yorker Orchester nutzt der Besucher natürlich auch für Einblicke in intime Konkurrenzsituationen - und da am Vorabend des Mahler-Konzerts das Boston Symphony Orchestra in der Carnegie Hall gastierte, gewann man einen fulminanten Einblick von Virtuosität der Ostküste. Die Bostoner spielten just jene Berlioz-Symphonie, mit welcher die New Yorker bald in Düsseldorf auftreten. Der Hörer erlebte eine Klangpracht, die beinahe glamourös wirkte. Am Pult stand Andris Nelsons, der mit der Beweglichkeit eines Schlangenbeschwörers alle Nuancen aus seinem Orchester herauskitzelte. Die Aufgabe, diese beiden Orchester vergleichen und bewerten zu müssen, erscheint fast unlösbar. Beide spielen auf jener Stufe des puren Luxus, dass man hinterher "Wow" rief. Der Unterschied lag darin, dass die Bostoner in der wunderbaren Carnegie Hall spielten, die New Yorker in der etwas rumpeligen Geffen Hall. Aber die wird bald komplett renoviert. Keine Angst davor: Wie gut Konzertsaal-Umbauten klingen können, wissen wir aus der Tonhalle nur zu gut.

Die Reise unseres Autors kam auf Einladung der New Yorker Philharmoniker zustande.

(w.g.)
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