Dresden Der Pastor geht von Bord

Dresden · Nikolaus Schneider nimmt Abschied von der EKD. Die Wahl seines Nachfolgers bringt die Kirche in die Zwickmühle.

Nikolaus Schneider: Der Pastor geht von Bord
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Er hatte alle gewarnt. Sein letzter Jahresbericht als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hatte Nikolaus Schneider gesagt, werde "das Ich das Redners, sein persönliches theologisches Denken", stärker betonen als sonst. Schneider hat gestern, wie angekündigt, nach vier Jahren sein Amt vorzeitig aufgegeben; morgen wählt die Synode, das Kirchenparlament, der EKD einen Nachfolger.

Schneider machte seine Ankündigung wahr. Sein Bericht blieb politisch eher blass, abgesehen von der Anregung, man möge über einen gesetzlichen Anspruch auf Sterbebegleitung (den es teils schon gibt) nachdenken. Entsprechend gedämpft reagierte der Saal; beim Schlussapplaus brauchte es etwas, bis die Rheinländer sich klatschend erhoben und den Rest des Synodenvolks mitzogen. Theologisch aber fabrizierte Schneider eine Synthese dessen, was ihn ausmacht.

Da verabschiedete sich mit frommen Worten einer, den seine Ämter weder abheben ließen noch zu verwaschenem Funktionärssprech verführten - "Niko ist immer Pfarrer geblieben", sagte Synodenpräses Irmgard Schwaetzer. Schneider fasste dieses Abwägend-Konkrete so: "Es kommt auf die Wirklichkeit an." Oder, theologischer: "In der Regel beschreiben ethische Normen einen Korridor von Handlungsoptionen, innerhalb dessen evangelische Christen unterschiedlich urteilen." Normen müssten stets die Freiheit des Gewissens berücksichtigen.

Soll heißen: Glauben ist auch anstrengend. Schneider und seine krebskranke Frau Anne haben das am Thema Sterbehilfe durchdekliniert - sie hält assistierten Suizid für legitim, er ist gegen organisierte Beihilfe, will Anne aber auch bei diesem Schritt nicht allein lassen. Am Ende bleibe, sagte Schneider auch gestern wieder, "die konkrete Herausforderung zur Achtung und Begleitung von Menschen, die hier anders denken und entscheiden".

Die Gefahr, dass die EKD ohne Schneider ins Zugewandtheitsdefizit rutscht und damit wieder etwas öffentliche Wirkmächtigkeit einbüßt, macht die Nachfolgefrage schon schwierig. Verzwickt wird sie, weil tatsächliche oder vermeintliche interne Zwänge hinzukommen. So kommt der Neue (eine Frau ist nicht in Sicht) traditionell aus dem Kreis der leitenden Geistlichen der 20 Landeskirchen. Da wären die Lutheraner mal wieder dran, weil die unierten (reformiert-lutherisch gemischten) Kirchen das Amt mit kurzer Unterbrechung seit 1985 besetzt haben. Erfahrung im Rat, der "Regierung" der EKD, sollte der Nachfolger haben, und deutlich jünger als Schneider (67) sollte er sein.

Damit läuft alles auf den bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (54) zu - eigentlich. Denn gewählt wird nur für ein Jahr, den Rest von Schneiders Amtszeit. 2015 muss die nächste Synode schon wieder wählen. Wird es aber nun Bedford-Strohm, ist das faktisch eine Vorentscheidung für 2015, und das gefällt manchem Synodalen nicht. Auch im Rat, der den Wahlvorschlag macht, war die "große Lösung" umstritten, ist inzwischen aber offenbar Konsens. "Man hat wohl auch verstanden, dass man der Öffentlichkeit 2015 schlecht den vierten Ratsvorsitzenden in sechs Jahren präsentieren kann", sagt ein leitender Geistlicher. Würde der eigentlich geborene Kandidat gewählt, käme es genau dazu: Schneiders Vize, der sächsische Bischof Jochen Bohl, dessen Eröffnungspredigt gestern aufmerksam registriert wurde, ist schon 64 und damit kaum mehr als ein Mann für ein Jahr.

Dass für die Nachbesetzung von Schneiders Ratsmandat nur ein Kandidat vorgeschlagen ist, der Berliner Bischof Markus Dröge, hat ebenfalls Gegrummel ausgelöst. Eventuell schlägt das Kirchenparlament noch einen Gegenkandidaten vor. Die Synode bleibt also ein unberechenbares Kollektivwesen. Dass über solche Befindlichkeiten aber am Ende Bedford-Strohms Wahl scheitern könnte, erwartet von den Beteiligten ernsthaft kaum jemand. Ein Ratsmitglied hat für ein solches Szenario nur ein Wort: "Wahnsinn."

(RP)
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