Peter Higgs Nobelpreis für Entdecker des Gottesteilchens

Stockholm · Peter Higgs ist selbst für Laien kein Unbekannter. Ihn und seinen Kollegen François Englert ehrt die Stockholmer Akademie.

Der schottische Physiker Peter Higgs hatte einige Monate Zeit, sich auf diesen Tag vorzubereiten. So entschloss sich der 84-Jährige, Edinburgh zu verlassen und nach den überstandenen Leiden eines Sturzes und einer schweren Bronchitis lieber Urlaub zu machen. Er habe kein Handy dabei und wolle dem Ansturm der Journalisten gern ausweichen, ließ der Preisträger durch seine Universität mitteilen. Gestern bekam Peter Higgs zusammen mit dem belgischen Physiker François Englert durch das Stockholmer Nobel-Komitee die höchste Auszeichnung in seiner Disziplin zugesprochen: den Physik-Nobelpreis.

Unabhängig voneinander hatten beide Forscher im Sommer 1964 die Existenz eines Teilchens vorhergesagt, dessen Rolle gern damit beschrieben wird, dass es die Welt in ihrem Inneren auf atomarer Ebene zusammenhalte. Forschungsferne Experten haben dem Higgs-Boson deshalb auch das Etikett Gottesteilchen angeheftet. Das klingt übertrieben, ist es aber vielleicht nicht; der Popularität der theoretischen Physik hat es nicht geschadet.

Weniger emotional lässt sich die Bedeutung des Teilchens über die Erklärung beschreiben, dass es das letzte Puzzle-Stück im Standardmodell der Wissenschaft ist, mit dem die Entstehung der Welt an sich beschrieben wird. Gäbe es das Higgs-Boson nicht, so würde das Theoriegebäude der Physik einstürzen. Eine Katastrophe für die Forschung, denn das Standardmodell der Physik vermag viele (nicht alle) Dinge über den Aufbau jeglicher Materie wissenschaftlich exakt zu beschreiben. Den Beweis, dass das gesuchte Higgs-Boson existiert, brachten die 5000 Forscher des Teilchenbeschleunigers CERN im größten je von Menschen gebauten Experiment in Genf im Juli 2012 — fast 50 Jahre nach der Vorhersage.

Wegen der herausragenden Bedeutung dieser Arbeit gab es für das Nobelkomitee keine anderen ernsthaften Kandidaten für die Physik-Auszeichnung. Spannend war gestern nur noch, an wen der Preis gehen würde. Die Forscherriege am CERN ging leer aus — vordergründig, weil der Nobelpreis nur an maximal drei Wissenschaftler vergeben werden darf. Doch gewichtiger dürfte gewesen sein, dass Nobelpreise nur für Entdeckungen vergeben werden. Wer etwa die Röntgenstrahlen entdeckt, kann preiswürdig sein, wer das Röntgengerät baut, hingegen nicht. Und wer etwas findet, was andere schon vorhergesagt haben, erst recht nicht. Trotzdem gab es viel Kritik, dass die Auswahl der Stockholmer Jury mit einer international verwachsenden Forschungslandschaft bald nicht mehr klarkommen wird, weil Einzelkämpfer in der Wissenschaft aussterben.

Im Fall von Peter Higgs liegen die Dinge noch ein bisschen anders. Insgesamt gab es sechs Forscher, die sich rühmen dürfen, im Jahr 1964 das Higgs-Boson vorhergesagt und seine Auswirkungen beschrieben zu haben. Zum einen François Englerts Partner Robert Brout, der 2011 starb und den Nachweis seiner Vorhersage nicht mehr erlebte. Zum anderen Gerald Guralnik, Carl Richard Hagen und Tom Kibble, die das Higgs-Boson zwar später als Higgs beschrieben, dafür aber mehr zu seinen Auswirkungen sagen konnten.

Peter Higgs hat diese Konkurrenz gewürdigt, er wollte das Teilchen sogar mit einem Kunstwort benennen — gebildet aus den Anfangsbuchstaben aller Forscher. Das zeigt die Bescheidenheit eines Mannes, der nie richtig glücklich wurde mit seinem Geistesblitz. Die wenigen Vorträge, die der Schotte noch hält, tragen den ironischen Titel "Mein Leben als Boson". Darin beschreibt er auf handgeschriebenen Folien den Sommer 1964, als er binnen weniger Wochen dank seiner Idee zu einer Koryphäe der theoretischen Physik aufstieg, um ein paar Jahre später ins zweite oder gar dritte Glied zurückzutreten. Am 16. Juli hatte er in einer Physik-Fachzeitschrift über ein Problem aus der theoretischen Physik gelesen, er hatte guten Zugriff auf internationale Forschungsarbeiten, weil er die kleinen Heftchen an der Uni Edinburgh in die Regale der Bibliothek einordnen musste. Das Wochenende verbrachte er mit seinem Lösungsansatz, den er am 24. Juli zu einer Fachzeitschrift schickte. Wieder eine Woche später war der Aufsatz fertig, der ihm den Nobelpreis brachte. Allerdings lehnte die Fachzeitschrift eine Veröffentlichung ab. Erst als Higgs bis Ende August 1964 einige Kapitel angefügt hatte, wurde seine Arbeit akzeptiert. "Vorher hatten die Lektoren der Zeitschrift das nicht verstanden", erzählt Higgs. Plötzlich interessierten sich die US- Elite-Unis Princeton und Harvard für die Ideen des 35-jährigen Higgs.

Der Ruhm dauerte aber nur wenige Jahre. Der schnellen Entwicklung dieses Bereichs der Physik konnte Higgs nicht folgen, Computer sind nicht seine Freunde. Mit Mitte 40 schreibt Higgs resigniert, dass die Jüngeren für diese Forschung wohl die besseren Voraussetzungen mitbringen. Da hat sich der Begriff Higgs-Teilchen längst eingebürgert.

(RP)
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