Düsseldorf Nobelpreis für Stammzellforschung

Düsseldorf · Der Brite John B. Gurdon und der Japaner Shinya Yamanaka haben das Wissen über die Funktion menschlicher Zellen auf den Kopf gestellt. Dank ihrer Forschung ist es möglich, dass eine Hautzelle beispielsweise in eine Herzzelle verwandelt werden kann. Ein Jungbrunnen.

Nobelpreisträger erzählen gern Anekdoten, was sie in ihrem Leben aufgehalten habe. Die Erzählung des Briten John B. Gurdon ist typisch für Querdenker, für einen einsamen Wolf: Es sei "totale Zeitverschwendung" aus diesem Menschen, der Griechisch und Latein als Vorlieben nennt, einen Naturwissenschaftler machen zu wollen, bescheinigten seine Lehrer an der Universität. "Ziemlich lächerlich" sei Gurdons Vorstellung, dass er mal Wissenschaftler werde. Der Japaner Shinya Yamanaka ging hingegen mit sich selbst hart ins Gericht: Ihm habe das Talent als Chirurg gefehlt, begründete der Mediziner den Wechsel zur Forschung mit Mäusezellen nach Jahren am OP-Tisch. Die Zweifel sind beseitigt: Gurdon und Yamanaka bekommen den Medizin-Nobelpreis 2012.

Ihre Arbeit ist in mehreren Punkten exzellent und führt zu einer Revolution in der Biologie, zu einem neuen Verständnis der Zellen und ihrer Aufgaben in unserem Körper. Die bisherigen Regeln waren einfach: Der Mensch wächst, zunächst aus den wenigen Zellen des Embryos, die noch alle Entwicklungsmöglichkeiten besitzen, nach ein paar Tagen gehen die Zellen dann eigene Wege: Sie differenzieren, sagt der Forscher und übernehmen nur noch eine Aufgabe, bilden fortan etwa Nerven, den Herzmuskel oder die Haut – sind Spezialisten.

John B. Gurdon war einer der Ersten, der nicht an die Ewigkeit dieser Entscheidung einer Zelle glaubte. Er entdeckte, dass der Zellkern alle wesentlichen Informationen besitzt und fügte den Kern einer Darmzelle eines Frosches in die Hülle einer Frosch-Eizelle, deren Kern er entfernt hatte. Trotzdem entwickelte sich eine normale Kaulquappe, offenbar ist das Gedächtnis des Zellkerns für seine Aufgabe leicht zu beeinflussen.

Als er diese ungewöhnlichen Experimente machte, gab es dafür kaum eine Anwendung. Zunehmend wurde klar, dass sein Verfahren, das heute Klonen heißt, auch für kompliziertere Säugetiere funktioniert. 1996 wurde in Edinburgh das Klonschaf Dolly geboren, das seine Erbinformationen aus einer Euterzelle eines erwachsenen Schafes bekam. Dolly war der Auslöser einer heftigen Debatte, die den Frankenstein-Mythos strapazierte und die Frage nach dem Schöpfer des Lebens stellte. Denn Dolly war genetisch identisch mit dem Zellkern-spendenden Schaf, dessen (fast) exakte Kopie, ein Double. Dieses Konfliktpotential der Technik war in den 1960er Jahren noch nicht so deutlich, weil die Bedeutung der Gene damals noch nicht erkannt war. Letztlich ist es aber ruhig geworden um die Technik des Klonens. Das Erzeugen menschlicher Klone ist weltweit geächtet, allenfalls Japaner erfreuen sich noch, wenn die Fleisch-Qualität hochpreisiger Rinder durch Klonen vervielfältigt wird.

Dass John B. Gurdon dennoch den Nobelpreis bekommt, liegt an der Weiterführung seiner Gedankengänge. Die vertiefte Kenntnis um die Entwicklung von Körperzellen begründete vor gut zwölf Jahren die Stammzellforschung, nämlich den Versuch, noch junge Körperzellen aus dem frühen Stadium eines Embryos gezielt zu entwickeln und die Umstände zu erklären, wann und warum eine solche Zelle sich zur Leber-, Herz- oder Nervenzelle entwickelt. Diese Forschung folgt dem Menschheitstraum der Unsterblichkeit, dem Bemühen stetig Ersatz für abgestorbenes Gewebe zu finden, und dieses bitte nicht künstlich, sondern gezüchtet aus der Zellentwicklungsküche des eigenen Körpers. Ein Jungbrunnen, dessen bescheidener erster Schritt die Therapie jener Krankheiten sein soll, die mit defekten Zellen einhergehen: Parkinson, Diabetes, Lähmungen, die Folgen des Herzinfarkts und viele andere.

In dieser Entwicklung passt die Einschätzung von Shinya Yamanaka, der von Kollegen als fleißig und bodenständig beschrieben wird. "Obwohl wir den Nobelpreis erhalten haben, haben wir nicht wirklich das erreicht, was wir müssen", sagte der 50-jährige Japaner. Denn sein bahnbrechender Erfolg gilt bisher nur für die Maus. Yamanaka hat bewiesen, welche Faktoren in den Genen eine Zelle in den ersten Tagen in einem Zustand der Vielseitigkeit halten, so dass keine Spezialisierung stattfindet (Pluripotenz).

Und dann ging sein kühner Plan auf, dass Zellen kein Gedächtnis haben, sondern nur ihre aktuelle Situation kennen. Yamanaka fügte die Gen-Faktoren wieder einer gewöhnlichen Hautzelle zu – diese akzeptierte den neuen Code und entwickelte sich zur Vorläuferzelle. Jüngste Forschung zeigt, dass menschliche Zellen ebenfalls so umprogrammiert werden können. Der Weg zum Jungbrunnen ist damit geebnet.

(RP)
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