Bob Dylan und seine Vorgänger Nobels Lieblingsdichter

13 deutschsprachige Autoren wurden bislang mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Darunter sind ein Historiker mit literarischer Qualität, ein Idol der Rumtreiber und ein Kompromisskandidat. Ein neues Buch erzählt ihre Geschichten.

Es gibt etwas, worauf man sich verlassen kann: dass niemals der Richtige gewinnt. Darauf zumindest können sich denn alle einigen, wenn stets im Oktober der neue Literaturnobelpreisträger feststeht. Das war auch so, als neulich Bob Dylan gewann und noch während der Bekanntmachung in Stockholm Jubel aufbrandete. Andere wendeten sich indes enttäuscht ab. Wieder nicht Irving, Auster oder Murakami, sondern Dylan, ein Nostalgie-Preis also, ein schlechter Witz. Der Spott war groß.

Gestritten wird um den Literaturnobelpreis seit jeher und immer liegt das Nobelkomitee der Stockholmer Akademie falsch - zumindest meint das mancher Leser. Das war bei Dylan so und nicht anders bei Theodor Mommsen, dem Preisträger vor 115 Jahren. Als das Komitee Mommsen auswählte, waren die Vorbehalte ähnlich: Seine größte Leistung hatte er schließlich gut 50 Jahre zuvor erbracht und dann war er nicht mal ein lupenreiner Literat.

Die Sache mit dem Literaten - geschenkt. Tatsächlich ist in den Nobel-Statuten festgelegt, dass nicht bloß belletristische, sondern auch andere Schriften mit literarischem Wert preiswürdig sind. Schwerer wog indes, dass der Historiker Mommsen die ersten Bände seiner ausgezeichneten "Römischen Geschichte" bereits ab 1854 veröffentlicht hatte und Nobels Statuten eigentlich vorsahen, dass möglichst Arbeiten aus dem vergangenen Jahr Anlass der Ehre sein sollten. Das Komitee behalf sich hemdsärmelig und befand: Der fünfte Band von Mommsens Reihe sei bekanntlich 1885 erschienen, also in "einer unserer Gegenwart nicht allzu fernen Zeit", wie es hieß. Nun mag man streiten, wie nah dieser Band den Zeitgenossen 27 Jahre später noch war. Geehrt aber wurde Theodor Mommsen so oder so. Zum eigenen Erstaunen, wie er damals schrieb, nahm er den Nobelpreis entgegen.

In der Geschichte der wichtigsten und wirkmächtigsten Literatur-Auszeichnung der Welt war Mommsen erst der zweite Preisträger und der erste aus Deutschland. Zwölf weitere deutsche oder in deutscher Sprache schreibende Dichter folgten ihm bis heute, zuletzt wurde die aus dem Banat stammende Autorin Herta Müller geehrt. Das war 2009. In einem gerade erschienenen Buch sind die Geehrten nun versammelt. Der Band, "Deutschsprachige Literaturnobelpreisträger", von Autor Enno Stahl und Lothar Schröder, Leiter der Kulturredaktion der Rheinischen Post, erzählt entlang der 13 Preisträger auch von den Machtspielen hinter den Stockholmer Kulissen. So regt das Buch dazu an, mal wieder Thomas Manns Erzählungen zur Hand zu nehmen oder sich Gerhart Hauptmanns Spätwerk zuzulegen. Zugleich aber möchte man sich nach Lektüre der 13 Kapitel unbedingt auch eine Biografie von Carl David af Wirsén anschaffen, dem mächtigen Ständigen Sekretär der Schwedischen Akademie, der in den ersten Jahren des Literaturpreises maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung gehabt haben muss.

So war es Wirséns Abneigung vor allem gegen Favorit Leo Tolstoi, der schließlich Mommsens Ehrung begünstigt haben soll. Und es war Wirsén, der sechs Jahre später die Auszeichnung für "Nils Holgersson"-Schöpferin Selma Lagerlöf verhindern wollte. Wirsén schickte darum den Briten Algernon Swinburne ins Rennen. In Stockholm muss es dann zugegangen sein wie vor deutschen Bundespräsidentenwahlen: Zuletzt gewinnen Erstgenannte nie. Jedenfalls wurde 1908 der Preis an den gebürtigen Auricher und Philosophie-Professor Rudolf Christoph Eucken verliehen. Ein früher Erbauungsliterat und Kompromisskandidat. So richtig warm wurde mit Eucken niemand. In der Laudatio hieß es schließlich, im Einzelnen könne man sein Werk gar nicht darstellen. Begründung: Zeitmangel. Ein Jahr später gewann Selma Lagerlöf.

Einig war man sich wohl bei Thomas Mann, allein der Großschriftsteller war nicht einverstanden. Zwar nahm er den Literaturnobelpreis 1929 gerne an. Dass man ihm diesen aber ausdrücklich für sein Frühwerk "Die Buddenbrooks" verlieh und den erst kürzlich erschienenen "Zauberberg" verschmähte, konnte Mann kaum fassen. "Ein Irrtum" befand er; später dachte auch die Akademie anders. Ende der 40er Jahre erwog das Komitee, den Schriftsteller und Exilanten, der mittlerweile die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, erneut auszeichnen, dann auch für den "Zauberberg". Gekommen ist es dazu nie.

Stattdessen aber wurde 1946 Hesse ausgezeichnet, vorgeschlagen von Thomas Mann. Ausgerechnet Hermann Hesse - bis heute das Idol der Hippies und Rumtreiber. Wer einmal in einer Herberge zwischen San Francisco und Hanoi abgestiegen ist, weiß das: In den Regalen zum Büchertausch steht dort immer "Der Steppenwolf". Hesse zog seinerzeit schon vor, sein Ding zu machen. Der Rummel um den Preis war ihm zu viel. So ging es auch Elfriede Jelinek, der österreichischen Preisträgerin von 2004. Jelinek sagte, sie "verspüre mehr Verzweiflung als Freude". Hermann Hesse hielt es sogar so wie jüngst Bob Dylan (oder andersherum). Er kam gar nicht erst zur Verleihung nach Stockholm.

(kl)
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