Interview mit Svenja Schulze Akademikerschwemme? "Quatsch!"

Düsseldorf · Immer mehr junge Menschen wollen studieren. NRW-Hochschulministerin Svenja Schulze (SPD) findet das gut. Nachholbedarf sieht sie bei den Unis in Sachen Digitalisierung.

NRW-Hochschulministerin Schulze: Viele Bachelor-Studiengänge zu speziell
Foto: Endermann Andreas

Svenja Schulze (SPD) ist in der Landesregierung eine Art Zukunftsministerin: Sie ist für die Wissenschaft zuständig. Ob allerdings NRW aus seinen Hochschulen genug macht - das ist umstritten. Ein Gespräch über Digitalisierung, renitente Rektoren und Prominenz.

Frau Schulze, wie viele Menschen erkennen Sie eigentlich auf der Straße?

Svenja Schulze Das ist unwichtig. Mir geht es nicht darum, Popstar zu werden. Wichtig ist mir, im Wissenschaftssystem etwas zu bewegen.

Bei Ihrem Amtsantritt 2010 waren Sie das rote Tuch für die Hochschulen. Das hört sich inzwischen ganz anders an. Was machen Sie anders?

Schulze Viele Hochschulleitungen haben sich damals keine SPD-geführte Regierung gewünscht, das stimmt. Sie respektieren aber, dass wir tun, was wir angekündigt haben: Studiengebühren abschaffen, die Hochschulen werden von uns gut ausgestattet. Der Etat für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung ist seit 2010 um 43 Prozent gewachsen.

Viele Hochschulen fühlen sich trotzdem immer noch gegängelt. Warum müssen Sie durchregieren?

Schulze Diese Gängel-Diskussion ist doch tot. Durchregieren findet nicht statt. Die Hochschulen merken aber, dass sie etwa über den Hochschulentwicklungsplan mit dem Land über ihre Zukunftspläne in Kontakt treten können. Und es ist ein Vorteil, mit dem wichtigsten Geldgeber nicht nur über die Zeitung zu kommunizieren.

Die Hochschulen müssen sich Gelder durch Wohlverhalten erkaufen?

Schulze Dass wir jetzt jährlich 50 Millionen Euro zusätzlich aus befristeten in unbefristete Mittel umwandeln, insgesamt dann jährlich 250 Millionen ab 2021 unbefristet zur Verfügung stehen, haben die Hochschulen immer gewollt. Das ist ein Riesenfortschritt, dabei geht es nicht um Wohlverhalten.

Was wäre Ihr wichtigstes Anliegen für eine weitere Amtszeit?

Schulze Ganz wichtig ist die konsequente Digitalisierung der Lehre. Die heutige Generation der Studierenden muss ganz andere Dinge lernen. Geisteswissenschaftler müssen zum Beispiel die Datenbanken verstehen, mit denen sie arbeiten.

Was muss an den Unis passieren?

Schulze Wir brauchen neue Formen, digitale Lehrveranstaltungen etwa.

Das ist aber wirklich nicht neu.

Schulze Aber unsere Hochschulen sind in diesem Bereich noch keine Vorreiter. Das Ministerium begleitet den Prozess deshalb zum Beispiel mit E-Learning-Konzepten und einer sicheren Daten-Cloud nach deutschem Recht. Wir müssen die Netz-Infrastruktur verändern. All das machen wir. Wir bilden übrigens in NRW die meisten Informatiker aus.

In absoluten Zahlen.

Schulze Auch relativ. Pro tausend Akademiker in Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik haben wir in NRW mehr Hochschulabschlüsse als im Bundesschnitt.

Mit den vielen Regeln im neuen Hochschulgesetz haben Sie Hochschulen und Unternehmen gegen sich aufgebracht. War es nötig, das Misstrauen so zu befördern?

Schulze Es ist geregelt, dass die Forschungsvorhaben mit Drittmitteln im Nachhinein veröffentlicht werden. Ich traue den Hochschulen zu, das verantwortungsvoll zu tun, ohne dass Patente oder Geheimnisse gefährdet werden. Das sollten die Unternehmen ihnen auch zutrauen. Da sehe ich auch kein Misstrauen mehr.

Warum gab es dann diesen Aufstand?

Schulze Die Diskussion war nie so aufgeputscht, wie es in den Medien rüberkam.

In den Medien?

Schulze Das war sehr stark medial aufgeblasen damals.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz hat gesagt, er habe einen solchen Widerstand von Hochschulen noch nicht erlebt.

Schulze Es gab keinen Krieg zwischen Hochschulen und Ministerium. Es wurde kontrovers diskutiert. Aber wir haben einen guten Weg gefunden. Man muss unterscheiden zwischen medialer Zuspitzung, Auseinandersetzung, täglicher Arbeit.

Ist in NRW eine so enge Verzahnung von Universität und Wirtschaft wünschenswert, wie es etwa Stanford im Silicon Valley vormacht?

Schulze Das ist nicht vergleichbar.

Wir fragten, ob es wünschenswert ist.

Schulze Wir brauchen keine Kopie von Stanford. Wir brauchen und haben eigene Modelle. In Ostwestfalen zum Beispiel gibt es eine sehr enge und erfolgreiche Verbindung des Mittelstands zu den verschiedenen Hochschulen.

Ist es eigentlich sinnvoll, wenn die Hälfte eines Jahrgangs studiert?

Schulze Wir sollten nicht versuchen, das politisch zu steuern.

Aber wenn die Qualität sinkt?

Schulze Die Qualität sinkt nicht.

Keine Akademikerschwemme?

Schulze Ich halte dieses Schlagwort für Quatsch. Wir brauchen Menschen, die sich immer neues Wissen aneignen können, und dazu gehört auch akademische Bildung. Gerade angesichts der Digitalisierung. Aber ich will gar nicht, dass jeder studiert. Ich werbe genauso für die duale Ausbildung. Die Herausforderung ist, für jeden das Richtige zu finden.

Apropos: Wer braucht eigentlich 2100 Studiengänge? So viele gibt es in Nordrhein-Westfalen.

Schulze Soll ich hier jetzt auf einmal durchregieren? Das ist ein selbstgemachtes Problem der Hochschulen, richtig. Grund ist, dass jede Hochschule sich profilieren will. Das erschwert aber den Wechsel etwa von Düsseldorf nach Köln.

Brauchen wir also eine bessere Grundausbildung für alle?

Schulze Viele Bachelor-Programme sind viel zu speziell geworden. Da müssen wir ran - das sehen die Hochschulen aber auch selbst. Ich kann da allerdings nur appellieren.

Frank Vollmer fasste das Gespräch zusammen.

(RP)
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