Düsseldorf Oper im Rausch der Bilder

Düsseldorf · Die Zauberflöten-Magier sind zurück an der Rheinoper: Diesmal inszenieren die Briten zwei Einakter von Strawinsky und Ravel - und zeigen einen noch raffinierteren Musiktheater-Trickfilm. Oper im Teilchenbeschleuniger.

Ganz oben auf der Erfolgsleiter ist die Luft dünn. Wer eine Sensation inszeniert und das noch überbieten will, ist mutig, ja verwegen. Der britischen Theatergruppe "1927" gelingt es nun aber tatsächlich, mit dem Doppelpack aus Igor Strawinskys "Petruschka" und Maurice Ravels Kurzoper "L'Enfant et les Sortilèges" ihre geniale Comic-Version von Mozarts "Die Zauberflöte" an künstlerischer Finesse noch zu übertreffen.

Allein an der Rheinoper sahen mehr als 100.000 Besucher "Die Zauberflöte", die für die Komische Oper Berlin produziert und von dessen Intendanten Barrie Kosky inszeniert wurde. Zahlreiche Kopien dieser Produktion werden bis heute weltweit gespielt. Was natürlich auch an der unverwüstlichen "Zauberflöte" liegt, die sich im Bilderrausch dieser Produktion auf verblüffende Weise auf ihren Ursprung als volkstümliche Maschinenoper zurückbesann.

Strawinskys Ballettmusik "Petruschka" und erst recht Ravels "L'Enfant et les Sortilèges" haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit Mozarts Singspiel, und so war äußerst fraglich, ob die Ästhetik der "1927"-Truppe mehr als nur eine Masche ist, die zufällig für die "Zauberflöte" so revolutionär zündete. Tatsächlich funktionieren die komplexe Bildersprache und ihr atemloser, kaum auf den ersten Blick zu erfassender Rhythmus für die Musik des frühen 20. Jahrhunderts sogar noch besser. Insbesondere mit "Petruschka" gelingt den Briten, diesmal ohne Barrie Kosky als Regisseur, ein wahrhaft großer Wurf.

Das Team von "1927" - Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barrit - hat wieder einen aus tausenden Teilen bestehenden Trickfilm geschaffen, dessen Einzelteile flexibel zu fahren sind, so dass der Film zwar durchzulaufen scheint, in Wahrheit aber seine Teile sowohl auf die live gespielte Musik als auch auf das Bühnengeschehen sekundengenau reagieren können.

Bei "Petruschka" sind es drei live auf der Bühne turnende Akrobaten, die jene drei Puppen verkörpern, die von dem nur im Film auftauchenden Zirkusdirektor mit furchterregendem Bart zum Leben erweckt werden. Die russische Jahrmarkt-Welt schwelgt im Trickfilm in der eigenwilligen, oft von expressiven Schwarz-Weiß-Effekten geprägten Ästhetik des russischen Konstruktivismus und zeigt drastisch gezeichnete Typen: den rotnasigen Trinker-Opa, die kreischenden Matronen mit Zahnlücken in der Geisterbahn, das geifernde Jahrmarkts-Volk, das sich daran ergötzt, wenn der böse Zirkusdirektor seine Puppen vorführt und quält. Petruschka spielt Tiago Alexandre Fonseca als traurige Chaplin-Figur, Pauliina Räsänen zeigt Ptitschka als von jeder Schwerkraft befreite Artistin, und Slava Volkov ist ein hinreißend komischer Muskelmann Patap. Dem hämmernden Staccato von Strawinskys stets doppelbödiger und mit ironischen Volten durchsetzten Ballettmusik hält der Trickfilm eine Fülle von Verweisen und Assoziationen entgegen und erzählt die märchenhafte Geschichte dennoch stringent und mit einer poetischen Logik, die über das Erzählen hinausweist.

Nicht ganz auf dieser Höhe der Durchdringung ist der zweite Teil des Abends, Ravels Kinderzimmer-Albtraum-Kurzoper "L'Enfant et les Sortilèges". Gesungen wird hier überwiegend aus dem Off, nur die famose Kimberley Boettger-Soller, die im Fatsuit das böse Kind verkörpert, ist dauerhaft präsent auf der Bühne und bringt das Kunststück fertig, sich im Trickfilm so passgenau zu bewegen, als würde er eben erst auf ihre Bewegungen hin entstehen. Marta Márquez darf als Mutter wahrhaftig auf der Bühne erscheinen (als Tasse und Libelle bleibt sie unsichtbar), und Elena Sancho Pereg taucht nur mit ihrem Kopf als koloraturfunkelnde Sonne und kristallklar intonierende Prinzessin leibhaftig auf, ebenso Dmitri Vargin als Vater Zeit und Cornel Frey mit grünem Schwellkopf als Dr. Mathe.

Die zahlreichen weiteren Figuren bleiben unsichtbar und werden sozusagen zur reinen Tonspur degradiert. Was natürlich eigentlich gegen das Prinzip der Oper arbeitet, wie die konsequente Verweigerung jeglicher Psychologie dem orthodoxen Opern-Fan gegen den Strich gehen muss.

Aber gerade das Zeichenhafte und die expressive Stummfilm-Gestik funktionieren auch bei Ravel gewissermaßen als Beschleuniger. Hier geht das Prinzip auf, auch wenn das gefährlich Lauernde der seltsamen Geschichte um ein sadistisches Kind, das Tiere quält und das Mobiliar verwüstet, vielleicht ein bisschen zu lustig wirkt in dieser Version.

Aber hier faszinieren der Einfallsreichtum und die hohe Musikalität der Macher, die für jeden Flötentriller ein intelligentes Bild finden. Auch musikalisch hat der Abend Extraklasse: Marc Piollet lässt im Graben äußerste Präzision walten, Strawinsky klingt scharfkantig und moussiert in vitalem Pulsschlag, Ravels Farben schillern verführerisch, wabern nie ins Suppige, sondern wahren schönste französische clarté. Großer Applaus. Unbedingt hingehen!

(RP)
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