Demographischer Wandel Ostdeutschland: Zurück zur Wildnis?

Berlin (RP). Im Auftrag Brandenburgs hat das "Berlin Institut" untersucht, was das Land bei schrumpfender Bevölkerung machen kann. Ein Vorschlag: Wegzugsprämien zahlen, statt viel Geld in absterbende Gemeinden zu stecken.

Wie sieht die Welt ohne Menschen aus?
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Foto: Cover: Amazon

Ein Jäger entdeckte zuletzt in einem Weizenfeld hundert Kilometer südöstlich von Berlin eine Elch-Familie. Auf einer alten Wanderroute sind die acht Tiere von Weißrussland nach Brandenburg gekommen. Die Elche hätten keinen besseren Zeitpunkt für ihre Stippvisite wählen können. Sie platzen mitten hinein in eine Debatte über die Zukunft Brandenburgs. Und sie stehen symbolhaft für diese Zukunft. Denn ein Vorschlag des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung lautet: Landstriche gezielt entvölkern und in Naturerlebnisgebiete verwandeln.

Das Institut hat jetzt ein Gutachten zu den Folgen des demographischen Wandels im Osten Deutschlands veröffentlicht. Die Fakten: Mehr als 1,5 Millionen vor allem junge und talentierte Menschen sind seit der Wende aus Brandenburg abgewandert.

Die Verbliebenen, die meist wenige Kinder haben, zieht es in die Zentren, wo sie eine vernünftige Infrastruktur vorfinden. "Die entlegenen Gebiete bluten regelrecht aus", sagt Reiner Klingholz, Geschäftsführer des Berlin-Instituts.

Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Die Prognose: Bis 2030 dürfte Brandenburg 13 Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Dann ist jeder dritte Brandenburger ein Rentner, hat sich die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter halbiert. "Es kann nur noch darum gehen, diesen Schrumpfprozess in vernünftige Bahnen zu lenken", sagt Klingholz. Wie das gelingen kann? "Das wichtigste ist für uns Bildung, Bildung, Bildung", sagt Klingholz. Vor allem für die jungen Männer. "Es machen doppelt so viele Frauen Abitur - finden sie nicht genug potenzielle Partner auf Augenhöhe, gehen sie weg."

So weit, so gut. Doch auf Seite 30 des rund 60-seitigen Gutachtens steht, was Brandenburgs Landespolitiker derzeit in Rage versetzt. Um kein Geld zu verpulvern, müsse das Land in "Schwundstandorten" die Menschen zum Abwandern motivieren. Beispielsweise durch Prämien. "Völliger Blödsinn" - ärgert sich Agrarminister Dietmar Woidke. Und Finanzminister Rainer Speer fühlt sich gar an stalinistische Zeiten erinnert.

"Verlogen" nennt Klingholz die Reaktion der Politiker. Sie hätten diese Entwicklung indirekt ja bereits eingeleitet. "Indem sie die Zentren und den Speckgürtel um Berlin fördern und zugleich auf dem Land die Schulen schließen." Für Klingholz ist die Marschroute klar: "Wer bis 2030 strukturarme Regionen nicht leergeräumt hat, der handelt verantwortungslos."

Diese Gebiete ließen sich zudem sinnvoll nutzen. "Es wäre denkbar, eine Landschaft zu einem Naturerlebnisgebiet Wildnis umzuwidmen", heißt es in dem Gutachten. Das brächte neue Besucherströme und wohl auch neues Geld. Zudem wäre eine Renaturierung breiter Landstriche auch ökologisch sinnvoll. "Die Schweizer sind uns da voraus", sagt Klingholz. "Sie freuen sich, dass sich in den von ihnen verlassenen Alpentälern wieder Wölfe, Luchse und Bären angesiedelt haben."

Möglicherweise kehren Elche künftig also nicht nur versehentlich nach Brandenburg zurück.

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