Jörg B. Schulz "Patient sollte Risiken der Parkinson-Therapie kennen"

Aachen Für Unruhe unter Parkinson-Patienten sorgte jetzt die Meldung, dass ein Mann vom Niederrhein, der an dieser Erkrankung leidet, mehrere Frauen massiv sexuell belästigt habe. Er bekam eine sogenannte Impulskontrollstörung, die bei Parkinson-Patienten auftreten kann, aber nicht muss. Wie oft gibt es solche Fälle? Wir sprachen mit Prof. Jörg B. Schulz, er ist Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Aachen.

Aachen Für Unruhe unter Parkinson-Patienten sorgte jetzt die Meldung, dass ein Mann vom Niederrhein, der an dieser Erkrankung leidet, mehrere Frauen massiv sexuell belästigt habe. Er bekam eine sogenannte Impulskontrollstörung, die bei Parkinson-Patienten auftreten kann, aber nicht muss. Wie oft gibt es solche Fälle? Wir sprachen mit Prof. Jörg B. Schulz, er ist Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Aachen.

Gibt es verlässliche Daten?

Schulz In der Gruppe der Patienten, die mit sogenannten Dopamin-Agonisten behandelt werden, gehen wir Neurologen davon aus, dass bis zu 20 Prozent von ihnen eine solche Impulskontrollstörung in unterschiedlicher Intensität entwickeln.

Welche Symptome haben sie?

Schulz Sie geben Unsummen von Geld am Spielautomaten aus. Sie kaufen mehr ein, als sie brauchen. Sie entwickeln Essstörungen. Und sie leiden unter einer veränderten Sexualität bis hin zur Sexsucht. Meist steht ein Symptom im Vordergrund.

Was macht man als Arzt?

Schulz Genau überlegen, wie man den Patienten auf ein anderes Medikament oder eine andere Dosis umstellt. Das geht oft, aber nicht immer. Es mangelt hierzu leider auch an genügend großen Studien, die verlässliche Daten liefern und die Effekte von Medikamenten direkt vergleichen. Man muss auch schauen, ob die Patienten das Medikament gleichmäßig nehmen. Sonst müsste man überlegen, ob man sie auf ein Pflaster oder eine Pumpe umstellt, die das gewährleisten.

Lassen sich solche Anfälle wie bei dem Parkinson-Patienten vom Niederrhein eigentlich vorhersagen?

Schulz Nein, und das macht die Sache schwierig. Diese Episoden sind ja offenbar anfallsartig aufgetreten.

Was macht man mit Patienten, die solche Probleme häufig zeigen?

Schulz Man würde dann eine Impulskontrollstörung eine sogenannte "psychiatrische Komorbidität" nennen. Bei einem Kaufsüchtigen bräuchte man eine Person, die für den Patienten dessen finanzielle Angelegenheiten regelt.

Und wie ist es mit Sexsucht?

Schulz Solche Fälle, dass sich Hypersexualität über lange Zeit hält, auch wenn die Medikamente geändert wurden, sind selten. Ich habe einen solchen Fall noch nie erlebt. Allerdings gibt es sehr wohl den Fall, dass ein Ehepaar in die Sprechstunde kommt, weil sich unter den Medikamenten die sexuelle Orientierung verändert hat. Dieses Paar muss man dann aufklären.

Es muss sich also niemand sorgen, dass er von einem Parkinson-Patienten sexuell belästigt wird?

Schulz Nein. Und wenn, dann ist das eine Rarität. Aber wie das so ist mit Raritäten: Es gibt sie halt.

Findet man auf den Beipackzetteln der Medikamente entsprechende Warnhinweise?

Schulz Ja. Patienten sollten bei der Einstellung auf solche Medikamente auf die potenzielle Gefahr von Impulskontrollstörungen hingewiesen werden, damit sie wissen, dass solche Störungen bereits früh auftreten können, und sich bereits bei ersten Symptomen beim verschreibenden Arzt wieder vorstellen.

WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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