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Protest heute Protest ist eine Notwendigkeit in dieser Zeit

Düsseldorf · Der Theatermacher, Autor und Sänger der Goldenen Zitronen beschreibt, wie man als Künstler dem Protest eine Form geben kann.

 Schorsch Kamerun ist Musiker und Theatermacher. Am Düsseldorfer Schauspielhaus wurde vor einiger Zeit seine Konzertinstallation "Sender Freies Düsseldorf" aufgeführt.

Schorsch Kamerun ist Musiker und Theatermacher. Am Düsseldorfer Schauspielhaus wurde vor einiger Zeit seine Konzertinstallation "Sender Freies Düsseldorf" aufgeführt.

Foto: dpa

Man fängt an zu protestieren, wenn die Dinge nicht mehr aushaltbar sind. Wenn die Umgebung notwendig verändert werden muss. Der bayerische Dichter und Anarchist Oskar Maria Graf schlug seinem überautoritären Bruder in der väterlichen Backstube das Blech über den Kopf, weil der Moment der Unerträglichkeit erreicht war und es so weit kam, dass "das Blut brach", wie er es nannte.

Die Form von Protest kann neben dem Backblech Spott sein oder jedweder künstlerischer Ausdruck. Es kann aber auch unterschiedlich physisch zugehen, wenn man einen Streik will etwa, eine Revolte gar. Heute ist klarer Protest in mancherlei Hinsicht schwieriger zu haben, weil es viel mehr Graustufen gibt in unserer überkomplexen Zeit.

Wir haben unsere Punkbands einst gegründet, weil wir damit eine direkte Form fanden, die uns entsprach. Das war zum einen abenteuerlich aufregend, kam aber auch wirklich gut sichtbar rüber bei all den anvisierten Adressaten - wegen der kräftigen Irritation. Das heißt, die Altnazis, Lehrherren, Streng-Lehrer und Spießverwandten haben uns wirklich gehasst und wussten nicht gleich, wie mit uns universellen Ablehnern umzugehen ist. Außer mit hilflosen Repressalien.

Viele Symbole von Aufständischen sind aber inzwischen in werbewirksame Verwertbarkeiten umgelenkt worden. Alles, was schräg und rau ist, geht prima ein in heutige Marktwelten. Das hat damit zu tun, dass jene Leute, die Werbung machen, etwas verstanden haben: Die Straße mit ihrem direkt authentischen Habitus ist ein bestens taugliches Reklame-Instrument, weil es am lautesten durchkommt. Brüllende Aufmerksamkeit, schräg-kultige Performance wird so zur crazy Baumarktwerbung.

Folgt man dieser Analyse, versteht man, warum auch die Populisten aktuell so weit kommen: Spektakel ist am besten messbar - anders als die richtigen, aber langweilen Fakten der Clintons zum Beispiel. Oder hat eine Band wie Rage Against The Machine schon allein mit diesem Namen eine gewisse Popularität erreicht? Brave Popbands wie Silbermond drehen harte Straßenschlacht-Videos zu Themen, die mit dem Wunsch nach Sicherheit korrespondieren sollen ("Irgendwas bleibt"). All das macht es nicht einfacher, einen nur für sich leuchtenden, progressiven Protest zu gestalten.

Jedes Kind muss zur Identität finden - auch über Abwendung. Man nennt das heute allerdings nicht mehr Trotz-, sondern Autonomiephase. Auch die Pegidas behaupten, nicht klarzukommen, und sie bedienen sich dabei einer Sprache aus Bewegungen, denen sie eigentlich fern sind. So nennen sie sich "Alternative für" oder "Die Identitären" und erreichen mit ihren Zugehörigkeitsbehauptungen Quote - gerade durch die Ideen von progressiv Kämpfenden.

Der Mensch will eine exotische Weltreise und eine sichere Hütte. Gleichzeitig. Wenn ihm die Kontrolle darüber entgleitet, kommt es zum Aufruhr. Das postfaktische Vereinfachen funktioniert dabei deswegen so gut, weil die Gegenseite kapiert hat, dass pauschale "Provo" höchste Aufmerksamkeit erzielt. So generieren sich plumpe Wutbürger zum wahren Gegenvorschlag.

Dennoch taugt zum Beispiel eine schlaue Kunst weiterhin für radikale Forderungen und hat alle Möglichkeiten. Sie muss dabei oft bewusst außerhalb von Verantwortungsübernahmen stehen. Für Künstler und Menschen bleiben maximale Forderungen wie "Alle Grenzen offen" relevant. Es geht dabei nicht um vordergründiges Lärmen, sondern um Visionen und das Entern von Köpfen. Man kann in der Kunst etwas ins Phantastische verlagern und so Möglichkeiten aufzeigen. Kunst darf auch maßlos sein. Fast immer wird die Fiktion dann von der Gegenwart eingeholt. Orwells "1984" etwa: Das waren mal Kunstbilder. Jetzt sind sie wahr gewordenes Geballer im Twitter- und Dekreten-Reich der aktuellen USA. Der Künstler, aber auch der Aktivist, muss sich diese Neurologie der Irritation wieder stärker zunutze machen: Verlange eine als zuerst supersurreal empfundene, aber "bessere" Welt - und glaube daran, dass sie kommen wird.

In den Popkulturen und auch am Theater macht es nicht automatisch Sinn, auf Provokationen zu setzen, weil sämtliche - einst unerhörte - Ausdrücke längst im Mainstream gängig sind. Gedacht, geschrieben und ausprobiert werden muss trotzdem radikal! Ich habe viel bei Christoph Schlingensief mitgemacht; da war es schon so, dass die Leute es anfangs nicht verstehen wollten - dafür dann posthum. Unsere Band Die Goldenen Zitronen versucht bisweilen, unverständlich zu spielen, aber das sollte kein Dogma sein.

Das Theater entwickelt sich gerade wenig vorwärts. Da war man schon mal woanders. Das hat mit Quoten-Hecheln zu tun und mit immer mehr Kulturmanagern statt künstlerischen Endscheidern.

Die Zeiten müssen angenommen werden, Protest ist notwendig. Hier in Hamburg steht ein nicht leise hinnehmbarer G20-Gipfel bevor. Auch der Körper ist weiterhin einsetzbar.

Als Stoppschild oder Streikender. Oder als Gummiball.

(RP)
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