ADHS Ritalin wirkt, wird aber zu oft verschrieben

Düsseldorf · Unter seinem Handelsnamen Ritalin ist der Wirkstoff Methylphenidat das wohl bekannteste Medikament zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS). Voraussetzung für den Therapieerfolg ist eine sichere Diagnose.

Kinder mit ADHS fallen meist im Schulalter auf, weil sie häufig den Unterricht stören und in den Leistungen nicht mit ihren Klassenkameraden mitkommen. Betroffene sind nicht immer hyperaktiv wie der Zappelphilipp aus dem Kinderbuch Struwwelpeter — einige sind eher träge und verträumt. Die Vielfalt der Ausprägungen der Erkrankung erschwert die Diagnose.

Biologisch gesehen liegt bei ADHS eine Störung des Dopamin-Stoffwechsels vor: Auf einen Reiz hin schütten Nervenzellen den Botenstoff aus, um den Spalt zu einer benachbarten Nervenzelle zu überbrücken. Auf diese Weise wird das Reizsignal weitergeleitet und im Gehirn als Belohnung wahrgenommen. Über spezielle Antennenmoleküle, sogenannte Rezeptoren, wird Dopamin wieder von den produzierenden Zellen aufgenommen. Bei ADHS-Patienten wird das Dopamin verstärkt recycelt. Damit steht weniger freier Botenstoff für eine Signalübertragung zur Verfügung.

Die Folge: Eine Belohnung bleibt aus, und die Konzentrationsfähigkeit des Betroffenen sinkt. Methylphenidat kann anstelle von Dopamin an die Rezeptoren binden, wodurch der Dopaminspiegel im Nervenspalt wieder auf Normalwerte angehoben und die Konzentrationsfähigkeit gesteigert werden kann.

Zwischen 1989 und 2001 stieg die Zahl der ADHS-Diagnosen um über 380 Prozent und parallel dazu die Zahl der Methylphenidat-Verschreibungen. Kritiker vermuten als Ursache, dass die Diagnose ADHS allzu leichtfertig gestellt wird. Forscher der Universitäten Basel und Bochum traten einen einfachen Beweis an (Journal of Consulting and Clinical Psychology 80, S. 128 ff): Sie legten 1000 Fachärzten Beobachtungsprotokolle von vier Jungen und vier Mädchen vor, wobei nur ein Junge und ein Mädchen alle Diagnosekriterien für ADHS erfüllten.

Das Ergebnis: Bei 16,7 Prozent der nicht an ADHS erkrankten Kinder erfolgte eine Fehldiagnose, von der Jungen doppelt so häufig betroffen waren. Die Autoren schließen daraus, dass Ärzte sich eher auf ihre Intuition und Erfahrung verlassen als auf empfohlene Vorgehensweisen.

Dennoch kann vielen jungen Patienten mit Methylphenidat geholfen werden, wie der Kinderarzt Jan Lotte bestätigt: "Langzeitstudien zeigen, dass mit Methylphenidat behandelte ADHS-Patienten bessere Schulabschlüsse erlangen. Mitunter kann das zwischen einem Förder- oder Regelschulabschluss entscheiden."

(RP/anch)
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