Recklinghausen Ruhrfestspiele: Ute Lemper trägt etwas zu dick auf

Recklinghausen · Sterne schimmern. Es dämmert. Die Sonne steigt über den Horizont, ein Tag nimmt seinen Lauf. Volker Schlöndorff, der legendäre, oscarprämierte Regisseur von "Die Blechtrommel", zeigt ihn uns im Zeitraffer: im Spiel der Wolken und der Wolkenschatten auf der Erde. Er zeigt weite Landschaften im Breitwand-Panorama, und nur die verfallenden Mauern lassen darauf schließen, dass hier einmal Menschen gewirkt haben. Im besten Falle kommen die Zuschauer im voll besetzen Recklinghäuser Ruhrfestspielhaus durch diese Bilder in Kontakt mit einem Gefühl von Überzeitlichkeit, einem Gefühl dafür, dass dieser Planet lange vor den Menschen existiert hat und möglicherweise lange nach ihnen existieren wird.

Ute Lemper, die es als Musicalsängerin zu weltweitem Erfolg gebracht hat und sich gern mit der Chanson- und Cabaret-Tradition des vorigen Jahrhunderts beschäftigt, hat Schlöndorff überredet, eine "cinematische Einrichtung" für ihren Paulo-Coelho-Liederabend zu schaffen. Das machte neugierig. Tatsächlich schaffen diese Bilder ein starkes visuelles Element im Bühnengeschehen, eine eigene Komposition aus Licht und Schatten, die mit Ute Lempers Kompositionen über Texte aus Coelhos "Die Schriften von Accra - 9 Geheimnisse" konkurriert.

Ute Lemper erweckt tatsächlich den Eindruck, als stünde sie in Konkurrenz. Auf der Bühne ist sie dauerhaft überpräsent. Sie ruft die starken Emotionen, die die Weisheiten des brasilianischen Autors offenbar in ihr ausgelöst haben, hinaus in die Welt - und dabei ist selten Platz für leise Töne, Zwischentöne. Eine sechsköpfige Band breitet ihr einen kenntnisreich geknüpften Klangteppich mit Elementen aus Chanson, Jazz, lateinamerikanischen und arabischen Klängen, über den Ute Lemper immer gestenreich schreitet.

Gern hätte sich der Zuhörer in diesen anderthalb Stunden eine Pause gewünscht, in der die wunderbaren Musiker das Wort ergreifen dürfen. Doch ohne Unterlass dringen Coelhos apodiktische Weisheiten an sein Ohr: "Es gibt nur Bewegung. Besiegt ist nur, wer aufgibt. Um Liebe zu erfahren, lass sie in dich hinein." Fast etwas zu viel des Guten.

(RP)
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