Spitzbergen Samen-Tresor für die Ewigkeit

Spitzbergen · Auf Spitzbergen lagern in einer Höhle im Dauerfrost Samen von rund 860 000 Kulturpflanzen. Zweck der ungewöhnlichen Aufbewahrung ist das Überleben der Artenvielfalt in der Landwirtschaft weltweit.

Die Wand rund um die Metalltür tief im Inneren des Berges ist mit Eiskristallen überzogen. Das Digitalthermometer zeigt minus acht Grad. Viel wärmer wird es im Inneren des Global Seed Vault nie. Hier regiert der Permafrost. Er lässt den Boden auf Spitzbergen niemals auftauen. Deshalb haben norwegische Bergbau-Experten diesen Ort, 1500 Kilometer vom Nordpol entfernt, ausgewählt und drei erdbebensichere Lagerhallen tief in den Fels gegraben. Es mutet seltsam an, wenn Brian Lainoff unter diesen unwirklichen Bedingungen vom Überleben der Artenvielfalt in der Landwirtschaft spricht. Aber hier wird das Saatgut der Welt gesammelt.

Brian Lainoff arbeitet beim internationalen Treuhandfonds "Global Crop Diversity Trust", der den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt für die Ernährung der Menschheit sicherstellen soll. Er steht in einer mächtigen Höhle, die als Vorraum der drei Lagerräume dient. Ein 140 Meter langer Tunnel führt vom Eingang hinunter in diesen natürlichen Kühlschrank. Ein Gebäude für die Ewigkeit. Hinter der Metalltür ist es sogar noch kälter. "Wir kühlen die Lagerhalle zusätzlich auf minus 18 Grad, die beste Temperatur für eine langfristige Lagerung des Saatguts", erklärt Lainoff.

Im Lagerraum ist alles überschaubar und überraschend einfach. Die Felswände sind schmucklos weiß gestrichen. In acht blauen Metallregalen stapeln sich die Samen von 864 309 Kulturpflanzen, abgefüllt in Gläsern oder Aluminiumbeuteln, gelagert in mehr als 2300 zumeist schwarzen Plastikkisten. Reis, Mais, Getreide, Gemüse. Im Schnitt werden etwa 500 Samen pro Sorte aufbewahrt. Nicht genug, um im Katastrophenfall die Bevölkerung zu ernähren, aber ausreichend, um daraus neue Pflanzen zu ziehen. "Der Fonds ist international und unpolitisch", sagt Lainoff. Weizen und Reis aus Nordkorea lagern neben Samen aus den USA und Südkorea. Auch indigene Völker lieferten ihren Beitrag.

Sieben Jahre nach Eröffnung ist der erste von drei Lagerräumen des Saatgut-Tresors fast voll. In zwei oder drei Jahren wird der Treuhandfonds den zweiten Raum in Betrieb nehmen. Der zurzeit wertvollste Beitrag stammt wohl aus Syrien. Die Saatgutbank in Aleppo mit ihren Weizensorten für heißes und trockenes Klima ist durch den Bürgerkrieg gefährdet. Doch 85 Prozent des Bestandes lagern als Kopie sicher in den Regalen auf Spitzbergen. Die Existenz von Saatgutbanken ist immer wieder bedroht. "In Afghanistan und im Irak sorgte der Krieg für schwere Schäden, auf den Philippinen wütete ein Sturm mit Hochwasser", erklärt Lainoff, "manchmal fehlt es schlicht an Geld für den Erhalt." Bisher musste der Fonds noch keine der eingelagerten Kisten aus dem Tresor holen, weil die Sammlung vor Ort zerstört wurde. Möglich, dass Syrien der erste Fall sein wird.

Der Tresor wird von Longyearbyen, mit 2000 Einwohnern der größte Ort auf Spitzbergen, kontrolliert. In der Überwachungszentrale des staatlichen Bauunternehmens Statsbygg laufen Temperatur, Luftzusammensetzung und die Bilder der Videokameras zusammen. Permanentes Personal im Stollen gibt es nicht. Besuch ist im Global Seed Vault selten. An 340 Tagen im Jahr sind die Türen geschlossen. Zwar verzeichnet Longyearbyen jährlich 80 000 Hotel-Übernachtungen, aber das Saatgutlager bleibt für Touristen gesperrt.

Technisch bereitet die Anlage keine Probleme. Aber wie überall auf Spitzbergen geht der Klimawandel auch am Global Seed Vault nicht spurlos vorüber. Der Zugang zum Tresor liegt im Berg hoch oberhalb des Flughafens. Die Luft- und Wassertemperaturen am Polarmeer steigen. "Wir bereiten uns darauf vor, dass der Eingangsbereich des Tunnels nicht mehr dauerhaft im Permafrost sein wird", sagt Lainoff. Der Tunnelboden zeigt erste Risse.

Das größte Risiko aber liegt weder bei der Natur noch bei der Technik. "Es ist die Finanzierung", sagt Lainoff. Nicht für den Global Seed Vault - das jährliche Budget für dessen Betrieb liegt bei bescheidenen 320 000 Dollar. Doch der Treuhandfonds versucht bis 2016 einen Fonds mit 500 Millionen Dollar aufzubauen. Die Kapitalerträge würden reichen, um die Standorte der wichtigsten Saatgutbanken der Welt zu sichern. Mehr als 90 Prozent des Geldes soll aus öffentlichen Quellen sprudeln, den Rest soll die private Wirtschaft zahlen. Die Liste der Sponsoren verursacht bei Umweltschützern Bauchgrimmen. Große Saatgutfirmen wie Syngenta und DuPont/Pionier Hi-Bred gehören dazu, auch Starbucks und Nestlé werden angesprochen. "Sie haben mit Lebensmitteln zu tun, deshalb sollte es ihr Interesse sein, sich zu beteiligen", so wischt Lainoff Einwände beiseite.

(RP)
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