Langzeitstudie zu Aggressionen Schimpansen vergrößern Revier mit Gewalt

Frankfurt/Main (RPO). Schimpansen neigen im Kontakt mit benachbarten Gruppen zu exzessiver Gewalt. Dabei töten die Menschenaffen sogar gezielt Artgenossen aus konkurrierenden Sippen - ein im Tierreich seltener Vorgang.

 Schimpansen töten offenbar Artgenossen, um ihren Lebensraum zu erweitern.

Schimpansen töten offenbar Artgenossen, um ihren Lebensraum zu erweitern.

Foto: ddp

Erstmals haben amerikanische Anthropologen nun auf solider Datenbasis das wahrscheinliche Motiv hinter diesem Verhalten ermittelt: Demnach bringen die Menschenaffen Angehörige von Nachbargruppen um, um ihr Territorium auszudehnen, wie die Forscher in der Zeitschrift "Current Biology" berichten. Ob sich dieses Verhalten auf den Menschen übertragen lässt, ist umstritten.

Über zehn Jahre lang beobachteten die drei Primatenforscher um John Mitani von der Universität von Michigan eine Horde Schimpansen im Kibale Nationalpark im Westen Ugandas. Mit 150 Tieren war die Ngogo-Gruppe ungewöhnlich zahlreich.

Während der Studie fanden die Forscher Spuren von 21 tödlichen Angriffen auf Artgenossen, meist auf Schimpansenkinder. 18 der Tötungen bezeugten sie sogar persönlich. Allein 13 Opfer stammten aus einer einzelnen Nachbarhorde, die im Nordosten der Ngogo-Gruppe lebte. Nachdem die Schimpansen sich bei dieser rivalisierenden Gruppe Respekt verschafft hatten, dehnten sie ihr Revier um 22 Prozent in deren Richtung aus.

Töten um Lebensraum zu beanspruchen

"Das neu erworbene Territorium entspricht jenem Areal, das vorher von vielen Opfern bewohnt wurde", erklärt Mitani. "Deshalb vermuten wir eine Ursachenbeziehung zwischen den vorherigen Akten tödlicher Gruppengewalt und der folgenden Ausdehnung des Reviers." Die Forscher vermuten, dass der größere Lebensraum den Affen mehr Nahrungsoptionen bietet. Möglicherweise, so spekulieren sie, sorge das ausgedehnte Revier zusätzlich auch für besseren Zugang zu Weibchen.

Zwar hatten früher schon andere Wissenschaftler von Gewaltexzessen zwischen konkurrierenden Gruppen berichtet, darunter die berühmte Primatenforscherin Jane Goodall. Aber alle hatten den Schimpansen Futter gegeben, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Dies könne das Verhalten der Tiere beeinflusst haben, bemängelten Kritiker bislang.

Dieser Einwand, so glaubt Kevin Langergraber vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, sei mit der neuen Studie vom Tisch. "Die Ngogo-Schimpansen wurden nicht von Menschen gefüttert", sagt der Primatenforscher. "Das dürfte die Kritik verstummen lassen, solches Verhalten sei unnatürlich."

Die US-Forscher beschreiben detailliert, wie Trupps von meist männlichen Schimpansen gezielt in Nachbarreviere eindringen. "Die Patrouillen sind still und bewegen sich mit List", erklärt Mitani. "Sie halten regelmäßig an, um die Umgebung zu sondieren, denn sie suchen nach anderen Schimpansen. Sie greifen nur dann an, wenn sie ihren Gegnern an Zahl weit überlegen sind."

"Bausteine menschlichen Verhaltens"

Sylvia Amsler von der Universität Arkansas, die einem Trupp von 28 Ngogo-Schimpansen folgte, beschreibt eine Attacke: "Sie waren seit über zwei Stunden außerhalb ihres Reviers unterwegs, als sie eine kleine Gruppe von Weibchen überraschten", berichtet sie. "Fast sofort nach dem Kontakt attackierten die Männchen des Trupps die Weibchen, von denen zwei Junge trugen." Sofort packten die Angreifer eines der Jungtiere und töteten es. Das andere Muttertier versuchte lange, seinen Nachwuchs gegen die Übermacht zu beschützen, am Ende vermutlich vergebens. "Obwohl sie das Jungtier der Mutter nicht wegnehmen konnten, wurde es offensichtlich sehr schwer verletzt", sagt Amsler. "Wir glauben nicht, dass es überlebt hat."

Auch wenn solche Gewaltexzessen an menschliche Aggressionen erinnern, bezweifelt Mitani, dass seine Beobachtung als Parallele zu menschlichen Kriegszügen taugt. "Krieg im menschlichen Sinne findet aus vielen verschiedenen Gründen statt", sagt Mitani. "Ich glaube nicht, dass es dabei um das Gleiche geht." Stattdessen zeige das Affenverhalten, was den Homo sapiens so einzigartig mache: Im Gegensatz zu anderen Spezies sei der Mensch gewöhnlich extrem kooperativ.

Max-Planck-Forscher Langergraber sieht dennoch Parallelen zwischen dem Verhalten des Menschen und dem der Schimpansen. "Bei diesen Aggressionen zwischen Gruppen ging es im Grunde genommen um Ressourcen", sagt er. "Auch wenn Menschen aus vielen anderen und oft komplexeren Gründen streiten, kann man dies als Bausteine menschlichen Verhaltens betrachten."

(apd/felt)
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