Düsseldorf Schlafwandler nicht wandeln lassen

Düsseldorf · Das Phänomen setzt in der Tiefschlafphase ein, wenn nur die motorischen Zentren aktiv sind.

Die Bremer Polizeibeamten wollten der älteren Dame zunächst nicht glauben, als sie am Telefon davon erzählte, dass ihr ein junger Mann "zugelaufen" sei. Aber als man dann in dem Haus der Frau eintraf, saß dort tatsächlich ein 25-Jähriger in der Küche. Barfuß, und ohne eine Ahnung davon, wie er dorthin gekommen war. Er hatte sich im benachbarten Wohnblock mit seinem Vater einen Film angeschaut. Dabei war er eingeschlafen - um sich dann im tiefen Schlummer auf den Weg zu machen, ohne dass ihn Türen, Treppen, Bordsteinkanten und Straßenverkehr aufhalten konnten.

Schlafwandler, die Straßen überqueren und Treppen hochsteigen - dem Normalschläfer fällt es schwer, so etwas zu glauben. Tatsächlich aber kann der Somnambulismus noch schrägere Geschichten hervorbringen. Wie etwa von dem 17-jährigen Jungen, der seine Bücher in den Regalen umräumt und sein Bett abzieht. Und Matthias Boentert von der Uni-Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen in Münster berichtet sogar von einer Frau, die als Schlafwandlerin 50 Kilometer mit ihrem Auto gefahren ist. "Das Ganze ging völlig unfallfrei ab", so Boentert, "aber man weiß natürlich nicht, was passiert wäre, wenn sie in eine knifflige Verkehrssituation gekommen wäre."

Denn auch wenn Bewegungsfähigkeit und Sinne des Schlafwandlers funktionieren - sein Bewusstsein schläft. Seine Aktivitäten entwickelt er nicht etwa während oberflächlicher Schlafstadien, sondern in den Non-REM-Schlaf-Phasen, in denen er nicht träumt und große Teile seines Gehirns im Ruhezustand sind. Die motorischen Zentren sind zwar aktiv, doch für das vernünftige Denken und die Urteilsfähigkeit gilt das nicht. Es werden zwar Bewegungen und mitunter komplexe Handlungen in Gang gesetzt, doch ihnen fehlt zielgerichtete Intention. "Ein Schlafwandler wird deshalb juristisch auch als schuldunfähig eingestuft", erklärt Boentert.

Die Neigung zum Schlafwandeln ist erblich. Einer kanadischen Studie zufolge haben Kinder, bei denen ein Elternteil Schlafwandler ist oder war, ein drei Mal höheres Risiko, nachts ebenfalls auf Tour zu gehen. Sind beide Eltern betroffen, steigt das Risiko sogar auf das Siebenfache. Wobei sich die angeborene Neigung zum Schlafwandeln noch verstärkt, wenn bestimmte Stressfaktoren wie etwa der Wechsel des Schlafplatzes hinzukommen. So tritt es oft bei Soldaten auf, die ihre erste Nacht in der Kaserne verbringen. Oder bei Kindern im Schullandheim. Betroffene sollte man übrigens sofort aufwecken, bevor sie ihre Tour starten. Auch wenn das bei Schlafwandlern dauern kann.

(RP)
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