Schlinks "Vorleser" eroberte Amerika im TV

Für einen deutschen Autor ist es nicht schwer, Welterfolge zu feiern, sondern nahezu unmöglich. Und gänzlich ausgeschlossen erscheinen Triumphe in Amerika zu sein. So etwas ist - abgesehen von Patrick Süskinds historischem Roman "Das Parfüm" und der "Blechtrommel" von Günter Grass - nur einem Autor gelungen, der im Grunde kein Autor ist und der sich selbst als eine Art schreibender Rechtsgelehrter versteht: Bernhard Schlink.

"Der Vorleser" ist die Geschichte eines 15-Jährigen, der von einer reiferen Frau zur Liebe verführt wird und der er Jahre später im Gerichtssaal wieder begegnen wird. Da ist er Jura-Student, den die berufliche Neugier zum Prozess treibt, sie aber ist - als einstige Schergin in einem Konzentrationslager - die Angeklagte. Deutsche Vergangenheitsbewältigung über Generationen hinweg, erzählt von einem Juristen auf nicht einmal 200 Seiten und in einer Prosa, die konventionell zu bezeichnen ist. Schlink hatte vor diesem Weltbestseller schon ein wenig Prosa veröffentlicht: drei Krimis, die im deutschsprachigen Raum wahrgenommen, durchaus gelobt und gelesen wurden, nicht aber Triumphe feiern konnten.

Was also ist passiert? Der Erfolg kam zwar nicht über Nacht, aber er ist doch verknüpft mit einem Ereignis, einem vielleich typisch amerikanischen: dem Auftritt Bernhard Schlinks 1999 in der Show der berühmt-berüchtigten US-Talkmasterin Oprah Winfrey. Sie schmückte das Buch nicht mit allerlei feinsinnigen Betrachtungen, sondern kürte es einfach zum "Buch des Monats". Und damit schickte Oprah Winfrey den Roman auf die Reise zum Weltbestseller.

"Der Vorleser" erklomm nicht nur in Windeseile Platz eins der Bestsellerliste in der "New York Times". Er wurde mit diesem amerikanisch-literarischen Ritterschlag auch weltweit zum Kassenschlager und mit etlichen Preisen sowie einer Hollywood-Verfilmung mit Kate Winslet geadelt. Bis heute wurde die Liebes- und Dritte-Reich-Geschichte viele Millionen Mal verkauft und in über 50 Sprachen übersetzt.

So ist die Geschichte des "Vorlesers" auch die eines "märchenhaften" Erfolgs. Der sei "in seinem Kopf noch gar nicht wirklich angekommen", bekannte Schlink selbst ein Jahr nach seinem Auftritt im US-Fernsehen. Dabei ereignete sich diese Sternstunde deutscher Gegenwartsliteratur ein bisschen piefig. Das Studio war ein nachgebautes Wohnzimmer mit Kamin, dicken Sesseln und weiterem Gemütlichkeitskitsch. "Man sitzt mit Oprah und fünf eingeladenen Lesern tatsächlich wie daheim", erinnert sich Schlink. Ein Welterfolg also, der auf der Couch geboren wurde.

Schlinks Erfolg in den USA hatte aber auch etwas Merkwürdiges und für uns Irritierendes. Denn weder das Dritte Reich noch historische Schuld und Verdrängung spielten eine größere Rolle bei der Rezeption. Oprah Winfrey interessierte sich vor allem für die Verführung des 15-Jährigen. Es ging ihr um den Missbrauch eines Minderjährigen, denn das war damals ein großes Thema in den Vereinigten Staaten.

Jedes Land liest seine Bücher zu seiner Zeit und zu den passenden Themen. Und Schlink war ein Autor, der mit einem richtigen Buch offenbar zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

(los)
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