Siebecks Vermächtnis

Der im Jahr 2016 gestorbene Gastrokritiker Wolfram Siebeck aus Duisburg war der Vorkoster der Nation. Sein Erbe sind gute Tipps zur Verfeinerung des Geschmacks.

Man möchte ihn nicht gern zu Gast gehabt haben. So wie der frühere Außenminister Joschka Fischer, der 30 Jahre lang davon geträumt haben will, seinen Küchen-Helden und Lieblingsgastrokritiker einmal bekochen zu dürfen. Als es dazu kam, die Siebecks die Fischers besuchten, hatte den Grünen-Politiker der Mut verlassen. Seine persische Frau Minu musste einspringen, die Speisen ihrer Heimat wie Pistazien-Orangen-Suppe, Tatar mit Kaviar und Sirupkringel auftischen. Zu dumm, dass der Reis anbrannte. Aber der Wein kam gut an.

Siebeck war eine Instanz im deutschen Koch- und Genusswesen, der Vorkoster einer ganzen Nation mit Ambitionen über Grenzen hinweg. Nicht nur als scharfzüngiger wie feingeistiger Kritiker, sondern auch als Koch und Verfasser von Kochbüchern hat er sich in die Nachkriegsgeschichte als kulinarischer Weltverbesserer eingeschrieben. Ein Ess-Papst war er, dessen Wort Gültigkeit besitzt bis heute. In einem soeben erschienenen Buch sind seine Ansichten noch einmal als ABC des guten Geschmacks zusammengefasst inklusive Umgangsformen, Dresscode und Anleitung zum Glücklichsein. Dies alles gehörte für den Duisburger zusammen. Mit A wie Aberglaube beginnt das Küchen-Brevier, führt über G wie Glücklichsein und endet mit W wie Werkzeug. Siebeck war Ästhet mit künstlerischen Ambitionen, einer, der über den Tellerrand schaute. Das attestierte ihm sein Branchen-Ex-Feind Eckart Witzigmann. Mit dem Sternekoch hatte er sich angelegt in einer Kritik, hatte ihn hinter Kollege Heinz Winkler platziert. Witzigmann hatte ihm Hausverbot erteilt und dessen Freunden empfohlen, die "Aubergine" bitte nicht aufzusuchen.

Siebeck kam als Selfmade-Man zum Kochen, Schreiben und Kritisieren. Er selbst nannte sich einmal traumatisiert von der Mehlschwitze seiner Mutter, von der erbärmlichen Küche der Nachkriegszeit. "Schlecht kochen kann jeder", schrieb er im "Playboy", "aber nur die deutsche Hausfrau schafft es noch, darauf stolz zu sein." Er konnte garstig sein wie auch feinsinnig, sprach sich gegen Fast Food und Massentierhaltung aus, hielt Grillen für Unsinn und fand Kutteln ausgesprochen lecker.

Das nun erschienene Buch ist so launig im Tonfall wie der Meister selbst aufgelegt war bei seiner Suche nach dem feinsten Schmeckerlebnis seines Lebens.

Risotto-Kunst

Man studiere nur mal das Kapitel Risotto. Gerade macht sich in TV-Koch-Serien landauf, landab das Gerücht breit, der Thermomix könne besser den schleimig-cremigen Reis-Brei bereiten als ein Italiener. Siebeck würde ins Jagdhorn blasen, so wie er den meisten "Kurzstreckenköchen" in der Gastronomie vorwirft, das Verfahren nicht zu beherrschen. "Müll der Schnellgastronomie" nennt er auf einmal in den Topf gegebene Reismischungen, die in der Flüssigkeit vor sich hindampfen und sich selbstständig zu Risotto entwickeln sollen. Wer wahren Risotto anstrebt, wird dauerhaft rühren müssen, denn nur die wie seit Jahrhunderten gepflegte Art der Italiener führe zum Spitzenergebnis. Der beste Reis ist die Sorte "Carnaroli", schreibt Siebeck, und dass alles mit dem Soffritto, einer kleinen Anbrateinheit aus Öl und Zwiebeln beginnt. Bei Risotto als Hauptmahlzeit können das auch Gemüsestücke, Lauch und Anchovis sein. "Anspruchsvolle Handarbeit ist die beste Antwort auf die Versuche der High-Technologie, das Humane, das Handwerk auszuschalten." Neben der Anleitung zum dauerhaften Rühren verrät Siebeck noch einen Kniff: Risotto muss unter Vollgas gekocht werden, unter großer Hitze wird anfangs das Glas trockenen Weißweins auf den Soffritto gekippt, dass es dampft und zischt. Das geht so immer weiter. Unter großer Hitzeentwicklung. Flüssigkeit nachschenken, in Sekundenschnelle verdunsten lassen, erneut reduzieren, bis der Risotto von seinem bissfesten Zustand in eine cremige Konsistenz übergeht. Der mehlige Inhalt der Körner muss spürbar sein, gleichzeitig die Geschmeidigkeit erkennbar, welche man al dente nennt. "Ein Prozess voller Risiken", schreibt Siebeck.

Fisch braten Viel einfacher sei es, Fische zu braten. Sie zu ruinieren ist auch simpel, man muss den Fisch nur anständig braten oder in sprudelndem Wasser kochen. Der Meister erklärt, dass fast alle Fische in ein Stück Alufolie gepackt, leicht gewürzt und selbstverständlich verschlossen, am besten gelängen. Sorten wie Saiblinge oder Forellen werden ausgenommen und einzeln verpackt, nebeneinander in eine Form gelegt. In einem auf 200 Grad vorgeheizten Backofen braucht fast jeder Fisch 20 Minuten, egal, ob er 200 oder 400 Gramm wiegt. Zeit für Soßen, feine Gemüse und das passende Glas Wein dazu. Pizza im Karton Die nach Spaghetti beliebteste Konfektionsspeise der Welt sei die Pizza. Über Missstände in deren Produktionsumfeld ereifert sich Wolfram Siebeck, der Pizza im Karton für das größte kulinarische Übel der Deutschen hält. Verdient hat sie das nicht, "denn ihre Herkunft und Zusammensetzung bezeugt eine authentische Regionalküche", schreibt Siebeck. In ihrem Urzustand sei sie ein Wunderwerk der einfachen Küche: ein einfacher Brotteig aus Mehl, Salz und Wasser, der dünn ausgerollt werden muss, mit allerlei essbaren Dingen belegt und in einem sehr heißen Spezialofen nur kurz gebacken wird. Für den Wohlgeschmack des gebackenen Fladens sorge die Zusammensetzung des Belags. So verkörpert die Pizza die Natürlichkeit und die Frische der italienischen Küche auf einmalige Weise. Weltweit ist die Pizza beliebt, weil sie das Produkt einer natürlichen Backtradition sei.

Ein Rezept für Pizza liefert Siebeck nicht in diesem Buch. Doch Hunderte erlesene Rezepte sind von ihm online oder in Kochbüchern erhalten. Wie er das Kochen gelernt hat, ist nicht überliefert. Er schob es immer auf seine zweite Frau, die ihm Ende der 1960er Jahre das Marktfrische und Besondere beibrachte. Seine eigenen Gerichte waren oft von irgendwoher eingeschleppt, adaptiert und neu gedeutet. Beim "Dialog der Früchte" etwa ranken sich dramatisch farbenfrohe Saucenpfützen umeinander. Es ist ein fantastisches Dessert, das ursprünglich aus Wiesbaden stammt.

Nie in seinem Leben hat Siebeck alleine gegessen. Die Zweisamkeit gehörte für ihn zum Genuss. Dass Glücklichsein ein Wunder sei, heißt es im letzten Kapitel, die Summe kleiner Freuden, zu der perfekt eine pochierte Poularde à l'estragon passt.

(RP)
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