Rheinische Pioniere (14): Bazon Brock Spezialist für unlösbare Probleme

Bazon Brock ist so vielseitig, dass man ihn mit Bezeichnungen überschüttet hat: "Künstler ohne Werk", Querdenker, Philosoph und Kritiker des Internets.

 Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Universität Wuppertal.

Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Universität Wuppertal.

Foto: dpa

Der Name verleitet zu englischer Aussprache, doch der heute 78-jährige Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Universität Wuppertal, stammt aus Pommern und wirkte so lange vom Bergischen Land aus, dass man ihn getrost der Rhein-Ruhr-Region zurechnen darf. Er gilt als Künstler und Kunsttheoretiker, doch hat er weder Kunst noch Kunstgeschichte studiert. Mit Friedensreich Hundertwasser, Joseph Beuys und Wolf Vostell beteiligte er sich an Happenings, aber ein greifbares Kunstwerk hat er bis heute nicht geschaffen. Sein Werk ist anderer Art.

Aufmerksamkeit erlangte er erstmals 1965 durch seine Beteiligung am bis heute viel zitierten "24-Stunden-Happening" in der Wuppertaler Galerie Parnass. Von Kindesbeinen an war er ein ausdauernder Redner. Sein Lateinlehrer hatte ihn deshalb "Bazon" genannt - griechisch "der Schwätzer". Aus den auffälligen Gedanken von einst wurden im Lauf der Jahrzehnte oft verblüffende Formulierungen, mit denen Brock bekannte Sachverhalte in neuem Licht erscheinen ließ, Verbindungen zwischen scheinbar Unzusammenhängendem aufzeigte, kurz: sich zum Querdenker stilisierte.

Kein Vortrag, keine Diskussionsrunde mit Bazon Brock ohne Wortneuschöpfungen, die er seinen Zuhörern vor den Kopf knallt. Denn seine Auftritte sind von jener Art, dass er immer derjenige ist, der am Ende recht hat. Er öffnet den Verstockten die Augen, doch geht es häufiger ums Diesseits als um die letzten Dinge der Welt. Obwohl: Auf einen Begriff wie "Gottsucherbande" muss man erst mal kommen.

Brock hat seine Gedanken zu Kunst und Design, Architektur und Gesellschaft in Büchern abgelegt, doch der eigentliche Bazon Brock ist der stets auf hohem Niveau, oft nicht auf Anhieb verständlich Schwatzende. Brock ist nur da ganz Brock, wo er spricht, wo er sich in Rage redet und an der Dummheit der Leute verzweifelt.

Als Pionier wird er in die Geistesgeschichte der Bundesrepublik eingehen, weil er schon vor Peter Sloterdijk und manchem von dessen Nachahmern durch die Disziplinen streifte und nach neuen Erkenntnissen schürfte. Als Professor setzte er sich dafür ein, dass die Kunst ihren Elfenbeinturm verlässt und sich nützlich macht, bei der Stadtplanung zum Beispiel. Er lehrte seine Studenten, dass Grafik und Design wesentlich auch auf Sprache bauen und dass man sich darin beizeiten Kenntnisse aneignen sollte. Der Professor für Ästhetik brachte seinen Schülern auch das Reden bei.

Ihnen und anderen öffnete er die Augen. Auf der Kasseler "documenta 2" des Jahres 1968 richtete er erstmals eine Besucherschule ein, die den Hörern Aneignungstechniken für zeitgenössischen Kunst vermitteln sollte. Später setzte Brock die Reihe bei den Kunstmessen "Art Frankfurt" und "Art Basel" fort. Heute ist die "Denkerei" in Berlin-Kreuzberg Anlaufstelle für alle, die von Bazon Brock lernen möchten.

Als er vor drei Jahren diese "Denkerei" eröffnete, vollbrachte er sogleich wieder sprachliche Pionierarbeit. Denn die Denkerei heißt vollständig "Denkerei mit dem Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand". Monatlich bietet dieses Amt Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft an - mit wechselnden Gästen. Der nächste Abend ist auf morgen terminiert und trägt den Titel "ErnteDENKfest: Das Goldene Schnitzel". Untertitel: "Denn Denken heißt danken".

Wer nun wissen will, welches die unlösbaren Probleme sind, die in der Denkerei gewälzt werden, wird auf der Webseite fündig: "Recht auf Glück verwirklichen", "Endlichkeit und Halbwertzeit", "Die Gefahr eines Vorsatzes" oder "Keine Inklusion ohne Exklusion".

In jüngerer Zeit hat sich Brock verstärkt auf das Internet eingeschossen. "Das Netz ist die Hölle der neuen Welt", sagte er einmal der "Frankfurter Allgemeinen". "Warum", so fragte er in dem Interview rhetorisch, "setzen wir uns so gerne in die Kneipe, um mit anderen zu sprechen, oder auf Kongresse etc.? Weil das die Möglichkeit bietet, tatsächlich den Genuss des eigenen Lebens durch die Versicherung des Beistands aller anderen zu erhöhen. Und das fällt beim Netz weg, weswegen es wirklich ein Totenreich ist, ein Todesreich."

So kann man es sehen, muss man aber nicht - wie in so vielen Fällen, in denen Brock seine unumstößlichen Urteile fällt. Brock setzte sogar noch eins drauf: Die Lager der totalitär-faschistischen Regime, des stalinistischen oder des Hitler-Regimes, seien gewesen, was jetzt das Netz geworden sei.

Im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe verbindet zurzeit eine Ausstellung die Namen Beuys, Brock und Vostell - ein Rückblick auf die Emanzipation des Individuums und die Revolution der Gesellschaft ab 1968, der zugleich die Frage nahelegt, was das alles denn gebracht habe. Auf eine entsprechende Frage des Südwestrundfunks wies Brock den Verdacht weit von sich, er sei desillusioniert: "Man sieht jetzt an der NSA-Geschichte, dass die Kriege weitergehen, dass dieses beruhigende pazifistische ,Wir sind alle guten Willens, und es passiert schon nichts' Unsinn ist. Wir müssten wirklichkeitstauglich werden. Also, keine Träumereien, sondern einschätzen, was die Welt tatsächlich ist, und dann innerhalb dieser Welt einen Anspruch auf Individualität, Freiheit und Demokratie behaupten." Das seien die Perspektiven von damals gewesen, "und die sind heute aktueller, als sie es in den 60er, 70er Jahren je gewesen sind". Um eine Antwort, so zeigt sich auch hier, ist Bazon Brock nie verlegen.

Zuletzt spielte er im Fernsehsender 3sat eine überforderte Moderatorin an die Wand, die von Brock Empörung über die Männerfreundschaft zwischen Putin und Schröder erwartete. Bazon Brock kanzelte sie unter anderem mit der Frage ab, welches Recht wir im ach so demokratischen Westen hätten, uns über Putin/Schröder aufzuregen, wenn wir einen Mann wie den einstigen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi letztlich doch als einen der Unseren betrachteten.

Wenn Brock dermaßen auftrumpfen kann, noch dazu wenn ihm die Gesprächspartnerin sichtlich unterlegen ist, versteht man, was seine Berufung ist: das, was schon seinem Lateinlehrer aufgefallen war - das Reden. Bazon Brock hat mit seiner Originalität die deutsche Diskussionskultur der Nachkriegszeit geschärft, indem er anders als die meisten Talkshow-Gäste von heute auf einen schier unerschöpflichen Bildungsschatz zurückgriff. Seine Studenten erinnern sich, dass er, was er einmal gehört oder gelesen hatte, nicht mehr vergaß. Vor Faktenchecks braucht er sich nicht zu fürchten.

Info Morgen stellen wir die Altersforscherin Ursula Lehr vor.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort