Bonn/Düsseldorf Tschö mit ö

Bonn/Düsseldorf · Nur in Köln hält sich bis heute das Platt als Alltagssprache. Andernorts sind die nordrhein-westfälischen Dialekte fast ausgestorben. Eine Entwicklung, die bereits im 16. Jahrhundert begann.

Als der Kölner Bankier Abraham Schaafhausen 1815 erfuhr, dass das Rheinland auf dem Wiener Kongress Preußen zugeschlagen worden war, soll er ausgerufen haben: "Jesses Maria, do hierode mehr ävver en en ärm Familich." So ist der Ausspruch jedenfalls überliefert worden. Auf Hochdeutsch heißt er so viel wie: "Herrje, da heiraten wir aber in eine arme Familie ein."

Nach Meinung des Bonner Sprachforschers Georg Cornelissen vom Institut für rheinische Landeskunde und Regionalgeschichte im Landschaftsverband Rheinland offenbart diese Anekdote den sprachgeschichtlichen Unterschied zwischen Köln und Düsseldorf. Sein Band "Kleine Sprachgeschichte von Nordrhein-Westfalen" ist jetzt im Kölner Greven-Verlag erschienen.

Kölsch ist bis heute der bekannteste und stärkste Dialekt Nordrhein-Westfalens. Er erweist sich als widerstandsfähiger als alle anderen. Und das liegt am Verhalten der gesellschaftlichen Eliten. "Der Unterschied zwischen den beiden Städten ist, dass es in Köln keine soziale Spaltung in puncto Sprache gegeben hat." In Köln habe sich die Elite nicht vom Dialekt distanziert, im Gegenteil, die Bildungsbürger hätten genauso selbstverständlich Kölsch gesprochen wie die Arbeiter und Tagelöhner, sagt Cornelissen.

In Köln identifizieren sich die Menschen mit ihrem Dialekt. Er ist ein Medium, das auch ein Heimatgefühl transportiert. Im Karneval wird das besonders greifbar. "Karneval und Kölsch bilden ein ganz festes Bündnis zum Vorteil von beiden."

Die starke emotionale Bindung an die Heimatsprache hat sich bis heute nur in Köln gehalten, in den anderen Gebieten Nordrhein-Westfalens ist sie verloren gegangen. Auch wenn das Kölsche Platt lange Zeit stabil war, verschwindet auch in der Domstadt die Mundart. Wie in Düsseldorf, wo sich das Hochdeutsche in der bürgerlichen Elite durchgesetzt hat.

Dass die nordrhein-westfälischen Dialekte aussterben, ist keinesfalls eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts, sondern beginnt bereits in der frühen Neuzeit. Die Geschichte der Dialektlandschaft in NRW geht bis in die Zeit der Völkerwanderung zurück. Damals fielen die Germanen in das Gebiet des Römischen Reiches ein, die westgermanischen Ethnien der Franken und Sachsen siedelten links und rechts des Rheins. Die rheinischen und niederrheinischen Dialekte gehen auf das Fränkische zurück, das Westfälische hingegen auf das Sächsische (siehe Karte). Cornelissen spricht von einem "Sprachteppich". Denn der Dialekt war von Ort zu Ort ein bisschen unterschiedlich, so dass man die Herkunft in der Sprache sehr genau heraushören konnte. Wiederum ähnelten sich die Dialekte so stark, dass man sich auch mit den Nachbarorten verstand.

Als in der Frühen Neuzeit der Buchdruck erfunden wurde und Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, kam die erste sprachgeschichtliche Zäsur des Platt. Im 16. Jahrhundert gaben Kanzleien, Gerichte und Schulen die regionalen Schreibsprachen zugunsten des Hochdeutschen oder eines Vorläufers dieser Sprache auf, schreibt Cornelissen in seinem Buch. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Dialektsprache auch als Alltagssprache weiter verdrängt. Nach kurzer französischer Besatzung des Rheinlandes unter Napoleon Bonaparte wurden das Rheinland und Westfalen nach dem Wiener Kongress preußische Provinzen. "Teil der Integrationsmaßnahmen war auch eine - eher vorsichtige - Sprachpolitik, die dort den Sprachwechsel zum Deutschen zur Folge hatte, wo bis dato Niederländisch verwendet worden war." Manche Begriffe wurden durch hochdeutsche verdrängt. So übernahm man im Rheinland die in Süddeutschland verbreitete Bezeichnung für den sechsten Wochentag "Samstag", während man im Norden weiter "Sunnobend" sagte.

Im Nationalsozialismus war der Dialekt aus Gründen des nationalen Konformismus diskreditiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Kriegsflüchtlinge aus dem Osten und Gastarbeiter nach NRW - Menschen, die den Dialekt nicht kannten.

Anders ist es mit den Regiolekten. In den Städten des Reviers dient das Ruhrdeutsche als Ersatzdialekt: Es wird in den Gesprächssituationen des Alltags verwendet, in denen man früher die Mundart gebraucht hat, schreibt Cornelissen. Dabei gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den Regiolekten in NRW. Dazu gehören Wörter wie "knibbeln" (etwas mit den Fingernägeln bearbeiten), "baseln" (kopflos oder ungeschickt handeln), "Knifte" (für eine Scheibe Brot) und "Pott" (für Topf, siehe Karte). Zur Umgangssprache gehören auch Wörter, die aus anderen Sprachen entlehnt sind. Aus dem Jiddischen stammen die Wörter "malochen" (arbeiten), "Bohei" (Aufruhr), "Kaschemme" (Kneipe) und "Schlamassel" (Missgeschick, Unordnung).

Aus dem Französischen kommt das Wort "Portmonee". Die Abschiedsformel "tschö" geht auf das französische "Adieu" zurück. Wohingegen die Annahme, dass "Fisimatenten" auf den französischen Ausspruch "Visite ma tente" beruht, ein Irrtum ist, den Cornelissen im Buch aufklärt.

Für die Zukunft wagt Cornelissen sogar die These, dass das Deutsche von einer gemeinsamen europäischen Sprache, etwa Englisch, abgelöst werde. Ähnlich wie den Dialektsprachen könnte es also dem Hochdeutschen gehen. "Die Weltgeschichte ist voller untergegangener Sprachen", sagt er. "Sprachen verschwinden, wenn sich aus kleineren politischen Einheiten größere bilden." Seit dem Mittelalter haben die sozialen Kontexte abgenommen, in denen sich die Nordrhein-Westfalen ihrer Heimatsprachen bedienten. Vielleicht spricht man in Zukunft mehr Englisch als Deutsch. Die Nationalsprache würde dann einer europäischen Sprache weichen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort