Vietnam sucht seine Vermissten

40 Jahre nach Kriegsende werden in Vietnam noch immer 500.000 Menschen vermisst. Mit dem größten DNA-Analyse-Projekt der Welt sollen viele Tote jetzt identifiziert werden.

Das Trauma des Krieges belastet Vietnam auch noch 40 Jahre nach Kriegsende. 500.000 Menschen werden nach Angaben der Regierung noch immer vermisst. Soldaten und Zivilisten, die in dem 30-jährigen Konflikt vermutlich ihr Leben verloren. Mit dem größten DNA-Analytik-Projekt der Welt sollen jetzt die Leichen auf den Schlachtfeldern identifiziert werden. Vietnam will drei nationale Zentren aufbauen, die jedes Jahr die sterblichen Überreste von 20.000 Menschen untersuchen sollen.

"Wissenschaftlich gesehen, ist das Projekt sehr anspruchsvoll", sagt Wolfgang Höppner, Vorstandsvorsitzender von Bioglobe in Hamburg, "die Leichen liegen teilweise seit 50 Jahren in der Erde, da bleiben nur sehr solide Knochen übrig." Höppner koordiniert gemeinsam mit der Internationalen Kommission für vermisste Personen (ICMP) in Sarajevo das Mammutprojekt mit einem Etat von über 23 Millionen Euro. Die DNA in den verbliebenen Skelettteilen werde stark zerstört sein, erwartet Höppner. Auf einem deutschen Friedhof werden die Gräber üblicherweise nach 30 Jahren neu vergeben, weil der Leichnam dann fast vollständig verwest ist. Doch in Vietnam wollen die Wissenschaftler aus dem wenigen, was nach dieser Zeit zurückbleibt, noch verwandtschaftliche Beziehungen erkennen und Personen identifizieren.

"Die Bedingungen in Vietnam sind extrem schwierig", sagt Christian Starke von Qiagen, einem der größten Hersteller für DNA-Tests. Nicht nur die Zeit macht es den Analytikern schwer. Die ständige Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit und die Bakterien im Boden werde den Skelettresten stark zugesetzt haben, vermutet der Forensik-Experte. Übrig bleiben nur die großen Knochen, manchmal auch der kleine Felsenknochen, der die knöcherne Struktur des Innenohres bildet. Er ist der härteste Knochen des Menschen.

Die Bestandteile des Skeletts müssen erst zermahlen werden, damit die geringe Menge DNA, die sie enthalten, überhaupt analysiert werden kann. Und wenn die Forscher ihre Proben aufwändig aufbereitet haben, erwartet sie häufig ein Gemisch aus der DNA des Menschen und der von Bakterien aus dem Boden.

Die Lagerung des Leichnams ist sehr wichtig für den Erfolg der Analyse. "Wenn das Skelett tiefer als 1,5 Meter unter der Oberfläche lag, sind die Chancen, noch Reste des Erbguts zu finden, viel besser", erklärt Starke.

Tief in der Erde ist weniger Sauerstoff vorhanden, deshalb verrottet der Knochen nicht so schnell. Einige Knochen der Neandertaler waren noch so gut erhalten, dass das Erbgut der Frühmenschen vollständig entschlüsselt werden konnte. Der englische König Richard III. konnte mehr als 500 Jahre nach seinem Tod noch identifiziert werden. Seine sterblichen Überreste wurden von Bauarbeiten unter einem Parkplatz in der Nähe der britischen Stadt Leicester in einem extrem guten Zustand gefunden.

Doch weil die Bedingungen in Vietnam anders sind, müssen die asiatischen Wissenschaftler ihr eigenes Knowhow aufbauen. "Ein Teil der Schulung übernehmen die Forensik-Experten der ICMP, die die Toten in den Massengräbern von Srebrenica fast alle identifizieren konnten", erklärt Wolfgang Höppner. Schon die Bergung der Knochen aus dem Boden erfordert Sorgfalt: Skelettteile unterschiedlicher Leichen dürfen nicht vermischt werden. Zudem können die Forensiker die Knochenreste leicht mit der eigenen DNA verunreinigen.

Danach entscheidet sich im Labor, ob die Identifizierung der Toten gelingt. Analytik-Roboter sammeln die winzigen Mengen der DNA auf Silizium-Oberflächen oder filtern sie mit speziellen magnetischen Nanopartikeln.

"Die Verfahren, um ausreichendes Erbgut aus den gemahlenen Knochen zu analysieren, sind in den letzten Jahren erheblich besser geworden", sagt Christian Starke. Qiagen ist daran wesentlich beteiligt und die Labors in Vietnam werden mit den Maschinen und Methoden aus Hilden ausgerüstet.

Trotz all dieser Probleme richtet sich die Hoffnung der Bevölkerung auf die Arbeit der Wissenschaftler. "Die Verehrung der Ahnen spielt in Vietnam eine sehr wichtige Rolle", erklärt Wolfgang Höppner. Doch viele Menschen haben nichts, mit dem sie ihr Andenken verknüpfen können. Deshalb lassen die Verwandten der Vermissten ihre DNA jetzt in eine Datenbank aufnehmen, deren Inhalt später mit der Erbgut-Analyse der Knochen verglichen wird.

Große Übereinstimmungen deuten auf eine Verwandtschaft hin. Das Prinzip ähnelt einem üblichen Vaterschaftstest, allerdings müssen die Analytiker bei den Kriegstoten fast doppelt so viele DNA-Abschnitte auswerten, damit sie trotz der schlechten Qualität ihres Untersuchungsmaterials erfolgreich sein können.

Die Datenbank für dieses Projekt stammt aus den Niederlanden. Sie kann einen Familienstammbaum für genetische Zwecke auswerten. Dadurch können auch Personen identifiziert werden, deren direkte Angehörige mittlerweile verstorben sind.

(rai)
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