Freiburg Vom Sinn und Unsinn der DNA-Analyse

Freiburg · DNA-Spuren am Tatort dürfen oft nicht verwendet werden. Das Gesetz sieht das so vor. In anderen Ländern gibt es mehr Freiheiten.

Bei der Aufklärung des Mordes an der Medizinstudentin Maria L. scheint ein einzelnes Haar eine besondere Bedeutung zu besitzen. Die Ermittler entdeckten die Spur im Gestrüpp, das sie säckeweise am Tatort sammelten und im Labor akribisch ausgewertet haben. Das Haar ist gleich in doppelter Hinsicht verräterisch: Es war teils blond, teils schwarz - offenbar hat sich jemand die Haare gefärbt. Doch wesentlich wichtiger ist diese Spur, weil jedes einzelne Haar das komplette Erbgut seines Besitzers trägt. Wenn es vom Täter stammt, hat er eine eindeutige Visitenkarte zurückgelassen. Jedes durchschnittlich ausgestattete Gen-Labor kann daraus die DNA extrahieren und mit der DNA-Probe eines Verdächtigen vergleichen. Mit etwas größerem Aufwand könnte die Erbgut-Analyse aber wesentlich mehr Informationen über den Besitzer des Haars liefern. Doch deutsche Ermittler dürfen die Möglichkeiten der Wissenschaft nicht einsetzen.

Der Mord an Maria L. wird aber nicht durch das Haar aufgeklärt. In Deutschland reicht eine DNA-Spur für eine Verurteilung nicht aus. Mit gutem Grund: Der Täter könnte die Haare eines anderen als falsche Spur verteilt haben. Oder ein Unbeteiligter hat das Haar schon ein paar Stunden vor der Tat verloren. In Freiburg fanden die Ermittler die gleiche DNA-Spur auch am Fahrrad der Toten. Überwachungskameras haben den tatverdächtigen 17-jährigen Afghanen in der Umgebung gefilmt.

Ohne diese zusätzlichen Hinweise bliebe die DNA-Spur hierzulande stumm. Gemäß der Strafprozessordnung dürfen in Deutschland molekulargenetische Untersuchungen nur gemacht werden, um das Geschlecht eines Täters zu ermitteln und seine Identität durch Vergleich mit anderen Spuren oder DNA-Proben beispielsweise nach Massen-Gentests zu klären. Schon der Umfang der Analyse, die in den Polizei-Labors angewendet wird, ist beschränkt. Die Untersuchung wertet nur wenige Regionen des langen DNA-Strangs aus. Dort, wo die Gene sitzen oder spezielle Informationen über den Menschen zu finden sind, dürfen die Ermittler nicht hinschauen.

Die Niederlande und Frankreich lassen den Analytikern mehr Spielraum. Dort dürfen sie die Farbe der Haare und Augen aus den Genen lesen und Hinweise über die Herkunft des Täters ermitteln. Das Erbgut von Europäern, Asiaten und Afrikanern weist ausreichend Unterschiede auf, damit eine gefundene DNA einer dieser Großregionen der Welt zugeordnet werden kann. Auch wenn die Eltern eines Menschen unterschiedlicher Herkunft sind, lässt sich das ermitteln. Als 1999 im holländischen Friesland die Menschen eine Gruppe von Asylbewerbern aus Asien für eine Vergewaltigung und einen Mord verantwortlich machten, konnten die Behörden die Hasstiraden stoppen, weil die DNA-Analyse eindeutig zeigte, dass das genetische Profil des Täters besser zu einem Europäer passte. Das Datenmaterial für diese Form der Interpretation der DNA ist so gut, dass die Resultate kaum Zweifel erlauben. Prinzipiell lässt sich auch die Größe eines Menschen und sein Alter aus dem Erbgut ermitteln, aber die Werte sind dabei noch mit Unsicherheiten behaftet.

Generell stellt sich die Frage, welche Informationen der Polizei tatsächlich helfen. Ist es nützlich, wenn die Fahnder wissen, dass der gesuchte Unbekannte möglicherweise an Diabetes leidet oder mit einer hohen Wahrscheinlichkeit fettleibig ist? Führt es nicht dazu, dass Menschen, die zufälligerweise das gleiche Merkmal besitzen, grundlos beschuldigt werden?

In den USA arbeiten mehrere Wissenschaftler an dem nächsten Schritt, den sich manche Fahnder wünschen. Die Polizei könnte in Zukunft aus einer einfachen DNA-Probe am Tatort Phantombilder des Täters erzeugen. Die meisten Gene, die für die Form des Gesichts und des Kopfes verantwortlich sind, kennt die Wissenschaft seit mehreren Jahren. 2014 stellte eine Gruppe der Pennsylvania State University ihr Konzept vor, um aus der DNA das Aussehen eines Menschen zu berechnen. Der Gen-Pionier Craig Venter ging vor einem Jahr noch einen Schritt weiter. Er wählte eine Gruppe mit 1000 Freiwilligen, analysierte deren Erbgut vollständig und erstellte gleichzeitig umfangreiche Fotoserien: Bilder von Augen, Ohren und der Nase, 3D-Fotos des Gesichts und eine Auswertung der Haarfarbe. Die digitalisierten Bilder speiste Venter in einen Super-Computer und suchte nach Zusammenhängen mit den Daten aus der Gen-Analyse. Mit der Auswertung des Großrechners versuchte Venter dann, einer fremden DNA ein Gesicht zuzuordnen. Die Bilder waren zwar verschwommen, besitzen aber Ähnlichkeit mit dem Original.

Besonders laut werden die Rufe nach einer ausführlicheren DNA-Analyse, wenn eine Straftat über lange Zeit nicht aufgeklärt werden kann. In der Schweiz gibt es den Fall einer vergewaltigten Frau, die seither ab dem Hals querschnittgelähmt ist. Die Polizei tappt völlig im Dunkeln, ihre einzige echte Spur ist die DNA, die der Täter zurückgelassen hat.

(rai)
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