Das Geheimnis der Foto-App Warum bei Instagram die Vergangenheit Erfolge feiert

Düsseldorf · Populäre Bildprogramme wie Instagram und Hipstamatic lassen Fotos wie 30 Jahre alte Polaroids aussehen. Was bedeutet der Trend?

Diese Bilder sind typisch für Instagram
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Foto: Instagram

Neuerdings liegt ein Schleier über der Gegenwart, ihre Farben wirken surreal, die Konturen sind verwischt. Diesen Eindruck bekommt, wer Fotos betrachtet, die mit der Software bearbeitet wurden, die in der App Instagram angeboten wird.

Instagram kann man sich kostenlos auf das Smartphone laden, das Logo ist einer Polaroid-Sofortbildkamera nachempfunden. Man kann damit Bilder aufnehmen, sie anschließend selbst und ohne fotografische Kenntnisse mit verschiedenen Filtern bearbeiten und verändern und danach sofort ins Internet stellen — Instagram bietet eine eigene Plattform zum Zeigen eigener und Bewerten fremder Bilder. Was früher Stunden, wenn nicht Tage dauerte, funktioniert nun also innerhalb weniger Minuten.

Ästhetik der Kindheit

Populäre Fotodienste fürs Smartphone
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Wie früher muten die Ergebnisse jedoch auch an. Denn obwohl die Megapixel-Kamera etwa des iPhone Hightech-Aufnahmen von enormer Qualität ermöglicht, geben die meisten Instagram-Nutzer den Bildern nachträglich etwas Dillettantisches. "Aus dem Manko wird ein Wert", so bringt es der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich auf den Punkt.

Mit Filtern, die Namen tragen wie "Toaster" und "Amaro", überziehen sie die Ansichten mit cremigen Pastelltönen und verändern die Kontraste. Die stets quadratischen Instagram-Bilder sehen aus, als seien sie versehentlich überbelichtet worden, man erkennt sie an den blassen und wehmütigen Farbtönen der Retrografik, und eben das ist das Paradoxe: Per Software werden chemische Effekte aus Analogzeiten nachgeahmt, als man noch mit Plastiklinsen, Kodakfilmen und lange gelagertem Fotopapier arbeitete. Das im Bild dokumentierte Erlebnis wird also aufgehübscht, es erscheint in der Ästhetik der glücklichen Kindheit und bekommt eine Tiefe, die es womöglich gar nicht hat.

Kodak pleite, seine Optik erobert die Welt

Wie populär diese Methode der Idealisierung von Wirklichkeit ist, belegen Zahlen: Etwa 130 Millionen aktive Nutzer hat Instagram derzeit und das Netzwerk wächst rasant. Das Unternehmen wurde vor zwei Jahren von Facebook gekauft, und zwar für eine Milliarde Dollar. Wenige Wochen vor diesem Deal meldete Kodak Insolvenz an, der Hersteller jener Materialien, deren Ästhetik Instagram imitiert. Das ist das, was man Ironie der Geschichte nennt.

Natürlich sagt ein solch gewaltiges Phänomen etwas über unsere Zeit aus. Zunächst einmal dieses: Die Bedeutung der einzelnen Fotografie hat sich gewandelt. Sie ist kein Medium der Dokumentation und Erinnerung mehr, sondern reine Kommunikation. Das Bild ist heute von vornherein auf andere bezogen.

In seinem Essay "Die helle Kammer" aus dem Jahr 1980 schrieb der französische Philosoph Roland Barthes noch, das Foto stehe als Zeichen für das "Es-ist-so-Gewesen". Heute ist es nur mehr Ausdruck der Befindlichkeit, die eigene Gestimmtheit wird ihm aufgepfropft, es sagt: So fühle ich mich.

Demnach schauen die meisten offenbar mit sonnig-verhangenem Blick auf die Welt, verträumt also, so müde wie nach einem Tag am Strand. Diese Atmosphäre der Weichheit kann man neuerdings als Stilmittel in vielen Kunstwerken finden, in Kinofilmen ebenso wie in der Musik.

Selbst im Kino ist die Instagram-Optik angekommen

Der neue Film des amerikanischen Regisseurs Jim Jarmusch, "Only Lovers Left Alive", erzählt von einem Vampir-Paar, das seit Jahrhunderten miteinander lebt und nun durch das entvölkerte Detroit der Gegenwart streift und von der Kunst der Vergangenheit schwärmt. Die Szenen wirken, als habe Jarmusch sie aus Instagram-Bildern zusammengesetzt; körnig mitunter, unwirklich in der Farbgebung, sanft. Auch Sofia Coppola macht Filme, die scheinbar unter einer Dunstglocke produziert wurden.

Und in der Musik stehen die Genres Dreampop, Chillwave und Shoegaze für die Reduktion von Schärfentiefe. Gruppen wie Beach House, Warpaint, die Sängerin Lana Del Rey und vor allem das Bandprojekt Washed Out liefern den Soundtrack zum Trend. "Von Gegenlicht-Melancholie" ist in der Besprechung der aktuellen Washed-Out-Platte "Paracosm" in der "Süddeutschen Zeitung" treffend die Rede. Die Beats schleppen sich dahin, die Gitarren hören sich verschlafen an, die Vocals ertrinken im Meer aus Echo- und Halleffekten, und erzeugt werden die anachronistischen Elektronikklänge zumeist am Computer mit Programmen, die den Klang des Jahres 1981 imitieren. Die Mühen der Herstellung merkt man nicht, im Gegenteil: Diese Platten haben etwas Beiläufiges und Verhuschtes, als habe jemand zufällig die Töne hingetupft.

Ein Unbehagen gegnüber der beschleunigten Welt

Und es geht noch weiter: Die digitale Zeitschrift "Snap" bringt ausschließlich Bilder, die mit der App Hipstamatic aufgenommen wurden. Die funktioniert im Grunde wie Instagram, man kann zwischen verschiedenen Linsen und Filmen mit Zeitangaben wie 1969 und 1982 wählen, und die Effekte sind noch deutlicher als bei Instagram. Auch der neue Werbespot von Coca Cola, den man derzeit so häufig sieht, entspricht dieser Ästhetik.

Wer nun "Kitsch!" oder "Instant-Glück!" ruft oder sich sorgt, dass seine Zeitgenossen bloß retroselig zurückschauen und statt Meinungen nur mehr Sehnsüchte und statt Aussagen nur noch Stimmungen entwickeln im digitalen Sfumato, sollte sich fragen, ob hinter der Renaissance der Unschärfe nicht doch etwas anderes steckt. Vielleicht ist das ja der Sieg des Menschenherzens über die Beschleunigung der Welt, der Triumph des romantischen Erbes über den galoppierenden Raubtierkapitalismus. Womöglich ist das eine Form des Eskapismus, die Flucht in den Echoraum des Einstmals.

Derjenige, der seine Ansichten der Gegenwart bearbeitet, damit sie nicht neutral aussehen, lebt sein Schönheitsbedürfnis aus und bemüht sich um Einmaligkeit. Letztlich geht es ihm um Aura, um das Glück des gelungenen Augenblicks, also um Beständigkeit. Und wer aus diesem Paradies der Scheinbarkeit heimkehrt in die Realität, tut dies eventuell mit geschärftem Blick.

(RP)
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