Interview: Schirin Amir-Moazami "Warum stört es, wenn eine Frau sich bedeckt?"

Das Kopftuchverbots-Urteil von Erfurt ist für die Berliner Islamwissenschaftlerin auch eine Grenzmarkierung der Mehrheitsgesellschaft.

Berlin Das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, wonach eine kirchliche Einrichtung einer muslimischen Mitarbeiterin das Tragen eines Kopftuchs verbieten darf, hat eine Kontroverse ausgelöst. Während CDU-Politiker die Entscheidung begrüßten, nannte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, das Urteil einen "Rückschlag für die Integrationspolitik". Man müsse die Frage stellen, inwiefern eine solche Rechtsprechung noch zeitgemäß sei, sagte Mazyek der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Heutzutage ist es Aufgabe von erfolgreichen Unternehmen, sich weltoffen aufzustellen." Im konkreten Fall geht es um ein Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft. Allerdings appellierte Jörg Kruttschnitt, Vorstand des diakonischen Bundesverbandes, stets mit Blick auf die jeweilige Situation und die verschiedenen Interessen zu entscheiden. "Es gibt definitiv kein Kopftuchverbot in der evangelischen Kirche", betonte er.

Ist das Gerichtsurteil von Erfurt eine nachvollziehbare Entscheidung?

Amir-Moazami Sie ist zumindest nicht allzu überraschend, zumal nicht zum ersten Mal Kopftücher in öffentlichen Institutionen verboten wurden. Für mich ist diese Art von Urteilen ein Zeichen von Grenzmarkierungen; es sind Signale aus der Mehrheitsgesellschaft. In diesem Fall zeigt eine sich christlich definierende Mehrheitsgesellschaft, wo die Grenzen für eine Sichtbarkeit von Religiosität im öffentlichen Raum bestehen - beziehungsweise: Welche Formen von Religiosität im öffentlichen Raum zulässig sind. Für mich steht dahinter eine Explosion von Diskursen über Muslime in europäischen Gesellschaften, bei der mehr und mehr Muslime zunehmend ins gleißende Licht der Öffentlichkeit und der politischen Institutionen gelangen. Man will zeigen: Bei uns gibt es gewachsene Religiosität, und die muss auch eingehalten werden.

Stehen dahinter auch Angst und Verunsicherung?

Amir-Moazami Ängste können auch gezielt mobilisiert werden. Damit kann man gut größere und wichtigere Fragen ausklammern wie zum Beispiel strukturelle Ausgrenzungen.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat von einem Rückschlag in der Integrationspolitik gesprochen?

Amir-Moazami Es gibt in der sogenannten Integrationspolitik Botschaften der Akzeptanz. Das sind Signale mit Symbolcharakter, die auch nicht falsch sind. Die aber stets daran geknüpft bleiben, dass Muslime immer bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. In diesem Zusammenhang mit religiös-kultureller Pluralität ist die Rede von der Integration im Übrigen nicht unproblematisch, weil man davon ausgeht, dass wir eine mehr oder weniger homogene Mehrheitsgesellschaft haben, in die man sich einfügen kann oder nicht. Um dieses Bild aufrechtzuerhalten, braucht man angesichts der religiös-kulturellen Pluralisierung dazu aber reichlich Phantasie. Im Grunde weiß man gar nicht, in was man sich integrieren soll und ab wann man als integriert gilt.

Es gab bereits Kopftuchurteile, bei denen zwischen privatem und staatlichem Raum unterschieden wurde. Diesmal ging es erstmals um einen christlich dominierten Raum.

Amir-Moazami Das ist ein ganz ambivalentes Problem. Und in christlichen Institutionen sind dazu ganz unterschiedliche Töne und Meinungen zu hören. So wird ja auch generell dafür gekämpft, dass Religiösität im öffentlichen Raum sichtbar bleiben muss und unterschiedliche Ausprägungen haben kann. Aber wenn wir uns zum Beispiel die Handreichung der Evangelischen Kirche "Klarheit und gute Nachbarschaft" aus 2006 anschauen, dann ist darin das, was nun in dem Urteil von Erfurt formuliert wurde, schon vorgezeichnet. Dabei geht es darum, dass der Islam sich an das säkular gezähmte Christentum anzupassen habe. Auch da bereits die Geste: Wir reichen euch die Hände, aber nur, wenn ihr euch so verhaltet, wie wir das gerne hätten. Man müsste im Grunde ganz allgemein über das Säkulare in der Gesellschaft nachdenken, weil ja auch das Christentum nicht aus dem öffentlichen Raum und nicht einmal aus der staatlichen Sphäre verschwunden ist.

Also sollte dann alles Religiöse aus der Öffentlichkeit verbannt werden?

Amir-Moazami Ganz und gar nicht. Wir sollten uns nur darüber im Klaren sein, dass die christlichen Kirchen und auch einverleibte christliche Rituale eine hegemoniale Stellung innehaben. Allein 30 Prozent aller Krankenhäuser sind in christlicher Trägerschaft. Damit meine ich nicht, dass das falsch ist; ich will nur den Blick darauf lenken, dass die Sphären abgesteckt sind - in jene Sphären, in denen sich Muslime oder Leute, die nicht diesen christlichen Traditionen entsprechen, dann bewegen können. Das ist schon ein System der Ausgrenzung. Es ist nicht zufällig , dass das Antidiskriminierungsgesetz die Religionskategorie ausgeklammert hat.

Wäre es vor dem Hintergrund dann sinnvoller, im Krankenhaus einen Gebetsraum für Muslime einzurichten, statt das Kopftuch zu verbieten, ?

Amir-Moazami Auf jeden Fall. Damit würde man aber erneut viele Menschen vor den Kopf stoßen. Das Urteil steht ja durchaus in einem gewissen gesellschaftlichen Raum. Auch in der Islamkonferenz wird einfach schlicht festgehalten, dass wir in einer liberal-demokratischen Gesellschaft leben und jetzt schauen wollen, wie der Islam so tickt. In dieser Form kann man aber eine religiös-kulturelle Pluralität nicht handhaben, weil die Fragerichtung immer einseitig bleibt. Bestimmte Normen - etwa über die zur Schau getragene Körperlichkeit - hat man so verinnerlicht, dass man sie gar nicht mehr hinterfragt. Immer wird stattdessen die Frage gestellt, warum die Frauen das Kopftuch tragen. Aber niemand denkt darüber nach, warum es keinen stört, dass man im Krankenhaus mit Spaghettiträgern rumläuft. Es geht mir nicht um eine Wertung, sondern darum, einmal nachzudenken, wie sich Konventionen entwickelt und verinnerlicht haben und wie sie damit unmarkiert geworden sind.

Ist denn das Kopftuch überhaupt ein eindeutiges religiöses Symbol?

Amir-Moazami Symbol klingt immer, als wolle man damit etwas zum Ausdruck bringen. Ich habe für meine Forschungen mit vielen Frauen darüber gesprochen. Tatsächlich scheint das Kopftuch eine Kultivierung von Frömmigkeit zu sein, von innerer Askese und Selbst-Disziplinierung.

Ist es für die Debatte nicht ein Problem, dass der Islam keine zentrale religiöse Autorität kennt, an die man sich wenden könnte?

Amir-Moazami Warum sucht man in dieser Debatte immer nach der einen Wahrheit? Das ist merkwürdig, weil man - obwohl der freie Wille so hochgehalten wird - nicht den freien Willen der Frauen zu akzeptieren scheint. Warum ist es denn so wahnsinnig störend, dass eine Frau sich bedeckt? Und wenn sie damit nicht einmal andere Leute in ihrer Freiheit einschränkt. Ich weiß wirklich nicht, wo da das Problem sein sollte. Es gibt andere Länder wie Großbritannien, die damit viel gelassener umgehen. Mittlerweile ist ja neben dem Kopftuch auch der Bart schon verdächtig werden.

(RP)
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