Basel Was Augen über das Infarkt-Risiko sagen

Basel · Veränderungen der Netzhautgefäße im Auge können ein Hinweis auf krankhafte Störungen an den Herzkranzgefäßen sein. Die Diagnose im Auge ist in jedem Fall ein Beitrag zur Früherkennung.

Es gibt nur eine Stelle im menschlichen Körper, an der ein Arzt Blutgefäße direkt in Aktion sehen kann – auf der Netzhaut des Auges. Die Wissenschaft hat jetzt diffizile Untersuchungsmethoden entwickelt, mit denen man an diesen kleinen Arterien und Venen Unregelmäßigkeiten feststellen kann, die eine weitreichende Bedeutung haben: Genauso nämlich können sich die kleinen Gefäße am Herzen verhalten. Die Diagnose im Auge kann letztlich zur Früherkennung herzinfarktgefährdeter Patienten beitragen.

Fast jeder Patient, der schon einmal bei einem Augenarzt war, kennt die Untersuchung: Die Arzthelferin träufelt Augentropfen, ein sogenanntes Mydriatikum, ein; nachdem es rund 15 Minuten gewirkt hat, ist die Pupille weit, und der Arzt kann wichtige Strukturen im Inneren des Sehorgans betrachten, etwa die Netzhaut und den Sehnerv. Genau so wichtig ist, dass der Arzt die kleinen Blutgefäße in der Netzhaut sehen kann. Dass man aus diesen Hinweise auf Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes schließen kann, ist lange bekannt.

Mit High-Tech-Ausmessung und Bildgebung dieser kleinen Arterien und Venen kann man neuerdings jedoch Rückschlüsse auf die Gesundheit eines anderen, lebenswichtigen Organs ziehen: des Herzens. "Kaliberschwankungen der Netzhautgefäße", so erklärt Josef Flammer, Direktor der Universitätsaugenklinik Basel, "können ein Hinweis auf eine kardiovaskuläre Erkrankung, also auf krankhafte Veränderungen an den Herzkranzgefäßen sein, die zu einem Herzinfarkt führen können. Manchmal sind diese Augenbefunde nicht irgendein Hinweis, sondern der erste Hinweis, das erste Verdachtsmoment."

Erst die neuen bildgebenden Verfahren der letzten Jahre haben es ermöglicht, die Mikrogefäße des Auges detailliert zu beobachten und zu vermessen. Dies habe dazu geführt, dass die klinische Bedeutung von Veränderungen an diesen Gefäßen in den Fokus der Forschung geraten sei, sagt Flammer. Das Interesse an der Vorhersagekraft der Netzhautgefäße für Erkrankungen der Herzkranzgefäße ist deshalb groß, weil Herz-Kreislaufleiden immer noch die häufigste Todesursache sind.

Die Diagnostik am Auge dürfte aber auch Aussagen über Gefäßleiden in anderen Organen ermöglichen und auch nicht-tödliche Erkrankungen erfassen, die mit einer gestörten Blutgefäßregulation einhergehen. Bei diesen Leiden sind die kleinen und kleinsten Blutgefäße nicht mehr in der Lage, sich dem veränderten Sauerstoffbedarf ihres Organs anzupassen. Derartige "vaskuläre Dysregulation" vermutet man als (Mit-)Ursachen von Tinnitus und Durchblutungsstörungen in Händen und Beinen.

In Zentren wie Basel, die auf die Erforschung der Augen-Durchblutung spezialisiert sind, wird seit kurzem mit bildgebenden Verfahren wie dem Retinal Vessel Analyzer (RVA) oder der Scanning Laser Doppler Flowmetrie (SLDF) gearbeitet. Beide Methoden erlauben Aussagen über die Anatomie, aber vor allem auch über die Funktionsfähigkeit kleiner Gefäße. Der RVA misst die Anpassung einer Arterie oder Vene auf eine Herausforderung – zum Beispiel auf einen Lichtreiz (flicker light), der zu einer Gefäßerweiterung (weil die Netzhaut mehr Sauerstoff braucht) führen sollte. Normalerweise erweitern sich die kleinen Arterien dabei. Bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht läuft diese Erweiterung verzögert ab.

In einer britischen Studie von 2010 zeigten Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern eine größere Verdickung von Netzhautarterien und eine als Versteifung beschriebene verlangsamte Reaktion auf die Flicker-Stimulation. Bemerkenswert dabei: Die Raucher wurden von den Prüfärzten als gesund eingestuft, sie litten also unter keinerlei Symptomen. Der Risikofaktor Rauchen vermochte offenbar an den kleinen Arterien Wirkung zu entfalten, lange bevor im Auge oder sonst im Körper eine Gefäßschädigung zu erkennen war.

Sollte sich in weiteren Studien bestätigen, dass die Umbauprozesse an den kleinen Netzhautgefäßen und die Hinweise auf eine gestörte Funktion jenen an den großen Arterien vorausgehen, würde sich am Horizont die Chance einer Prophylaxe bei Risikopatienten abzeichnen. Eine solche Vorsorge würde sich auf die Verringerung von Risikofaktoren der Herzgesundheit wie Übergewicht, zu hoher Cholesterinspiegel und Rauchen bei jenen Personen konzentrieren, die an ihren Netzhautarterien und -venen Vorboten einer Gefäßkrankheit erkennen lassen.

(RP)
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