Düsseldorf Was Auto-Design über den Zeitgeist sagt

Düsseldorf · Der Kampf der Konturen kann über Aufstieg und Fall ganzer Konzerne entscheiden. Wichtig: das "Überholprestige".

Ein Auto ist immer auch ein Statement. Wer aus einem Porsche steigt, wirkt anders als ein Kombi-Fahrer – ob er will oder nicht. "Autos sind wie Kleidung", sagt der international renommierte Design-Professor Lutz Fügener von der Hochschule Pforzheim, "wir können uns nicht anziehen, ohne damit etwas auszudrücken."

Für Premiumhersteller wie Audi, BMW und Mercedes ist das richtige Auto-Design längst mehr als eine Geschmacksfrage. Der Kampf der Konturen kann heute über Aufstieg und Fall ganzer Konzerne entscheiden. Designpreise sind ein wichtiges Verkaufsargument geworden. Den bekanntesten verleiht das Design Zentrum Nordrhein-Westfalen: "Vor zwei Jahren haben wir 34 Reddot-Preise für Autodesign verliehen, im vergangenen Jahr waren es 64", beschreibt Reddot-Initiator Peter Zec die Entwicklung. Für den gelernten Psychologen ist das kein Wunder: "Das Auto ist ein Fetischobjekt. Und Fetische funktionieren meistens über die Optik." Und über Attribute, die sofort wiedererkannt werden. Deshalb holte der neue Porsche Carrera im vergangenen Jahr mehr Designpreise als jedes andere Auto.

Was das Fehlen von gelernten Marken-Merkmalen auslösen kann, bekam Mercedes bei der ersten Generation der A-Klasse zu spüren. Weil das "Elchtest-Opfer" überhaupt nicht wie ein Mercedes aussah, sprach der Markt dem Nobelhersteller danach jahrelang die Kompetenz für kleinere Autos ab. Für die Stuttgarter war das dramatisch. Denn kurz zuvor hatten sie bereits mit dem unbeliebten S-Klasse-Design der 1990er-Jahre ("Kohl-Kutsche") das Konzernimage ramponiert: "Die unpersönliche Form strahlte damals zuviel Arroganz aus", sagt Fügener. Aber damals wurden die Innenstädte auch noch nicht mit SUVs möbliert: Neben den heutigen Allrad-Schrankwänden mit ihrer Deko-Reserverad-Pizza am Heck wirkt Helmut Kohls einstiger Dienstwagen schon wieder dezent. "Die alte S-Klasse war ein gutes Auto-Design zur falschen Zeit", meint Fügener, "heute würde man so eine Form vielleicht feiern." Denn während Brot-und-Butter-Autos wie der Opel Astra mit viel Chrom und hektischen Knickstellen im Karosserieblech nach Aufmerksamkeit schreien, finden die Luxus-Hersteller gerade zu einfachen Formen zurück.

Das Design der Autos verät viel über die Zeit, in der sie geboren wurden. Die technisch völlig überflüssigen Heckflossen der 1950-er Jahre zum Beispiel, die Autos zu Straßenflugzeugen machten: Der Krieg war gerade vorbei, als die Düse den Propeller ablöste. Die Flugzeuge wurden größer, Flugtickets waren erstmals erschwinglich. Mit der Heckflosse kreuzte ein kleines Stück Jet-Set auch durch die deutschen Vororte. Es folgten die kraftstrotzenden Muscle-Cars der amerikanischen 1960-er Jahre, die Opel mit dem Manta ("Zechen-Porsche") kopiert hat: Eine ungezügelte Kraft, der die unterentwickelten Fahrwerke jener Zeit kaum eine Richtung zu geben vermochten. Es war die Ära von Sex, Drugs, Rock&Roll. Und dann die gewaltige Gegenrevolution: der VW Golf. Er war das erste Massenauto, das nichts als Funktion sein wollte. Kein Kronjuwel aus Chrom. Keine Radhäuser, die wie Muskeln anschwellen. Auch keine Tischtennisplatte als Motorhaube. Einfach nur fünf Sitze, ein Dach und vier Räder. Die epochale Wucht dieses Konzepts ist bis heute spürbar. "Wir trennen die Autowelt immer noch in Übergolf und Untergolf", sagt Fügener. Wir wissen zwar nicht, ob ein Audi mehr kostet als ein Volvo. Aber jeder weiß, ob sein Auto teurer oder billiger, größer oder kleiner, sparsamer oder luxuriöser ist als ein Golf. Was ihn 1974 aus dem Stand zur Ikone gemacht hat, war ein Design, das so tat, als verzichte es auf Design. Vernunft statt Verschwendung. Zwei Jahre zuvor machte der Club of Rome der Welt mit seinem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" den Preis der Konsumgesellschaft bewusst.

Und heute? Finanzkrisen, Umweltkatastrophen, globaler Terror, die Angst der Mittelschicht vor dem ökonomischen Absturz: In die westlichen Wohlstandsgesellschaften hat sich eine eigentümliche Unsicherheit geschlichen. Auch das bilden die Autos der Gegenwart ab: Der BMW X6 zum Beispiel. Eine rollende Trutzburg mit Fenstern, die zu Sehschlitzen geschrumpft sind – gerne auch noch verdunkelt. Radhäuser und Schulterlinie dieses Autos machen sich breit, als wolle es seine Ellenbogen ausfahren. Vielleicht ist der X6 kein stilbildendes Auto, aber sicher ein typisches für unsere Zeit: "Ein Reflex auf die Leistungsgesellschaft", sagt Fügener, der so oder in ähnlicher Form bei vielen aktuellen Modellen zum Ausdruck komme. Auch beim neuen Golf VII. Die Fronten der neuen Modelle werden seit einigen Jahren immer aggressiver: Scheinwerfer mit der Form von Raubtieraugen flankieren wie bei Audi einen Kühlergrill, der an ein aufgerissenes Maul erinnert. Und das wohl auch soll. Fügener: "Das Wort ,Überholprestige' gab es vor ein paar Jahren noch gar nicht. Heute werden ganze Autos unter dieses Diktat gestellt."

Zum Glück kaufen auch Frauen Autos. Und zwar ganz andere. Den Daihatsu Copen zum Beispiel, dessen Kugelform das Kindchen-Schema abruft. Oder spielerische Retro-Modelle wie den Fiat 500. "Für den Mann ist das Auto eine Prothese, ein zusätzlicher Muskel, ein Panzer", sagt Fügener, "eine Frau will aus dem Auto heraus kommunizieren. Für sie ist das Auto wie eine Vase, und sie ist die Blume darin."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort