Astronaut überlebte gefährlichen Vorfall Wie Luca Parmitano fast im All ertrank

Rom · Nur durch Glück und schicksalhafte Fügung überlebte der italienische Astronaut Luca Parmitano eine Panne beim Außeneinsatz im Weltall. In seinem Blog berichtet er, wie er fast in seinem Weltraumanzug ertrunken wäre.

 Ein Foto zeigt, wie ein Kollege Luca Parmitano nach seinem gefährlichen Erlebnis im All aus seinem Raumnanzug hilft.

Ein Foto zeigt, wie ein Kollege Luca Parmitano nach seinem gefährlichen Erlebnis im All aus seinem Raumnanzug hilft.

Foto: ap

Nur durch Glück und schicksalhafte Fügung überlebte der italienische Astronaut Luca Parmitano eine Panne beim Außeneinsatz im Weltall. In seinem Blog berichtet er, wie er fast in seinem Weltraumanzug ertrunken wäre.

Der Vorfall liegt etwa einen Monat zurück. Als erster Italiener auf der ISS befand sich zum zweiten Mal in seinem Leben auf einem Spaziergang im All, nur durch seinen Anzug geschützt vor dem Weltraum. Dann bemerkt er einen Defekt an seinem Helm. Wie er sich nur mit Glück und Besonnenheit retten konnte, erzählt er nun in seinem Blog.

Tausendfach haben die Raumfahrer den Einsatz trainiert, jeder Handgriff, jedes technische Detail muss sitzen.
Am 16. Juli ist es so weit. Luca Parmitano und sein Kollege Chris Cassidy verschwinden in der Schleuse zum All. Parmitano ist angespannt und hochkonzentriert. "Als ob Elektrizität und nicht Blut durch meine Adern fließt", schreibt er in seinem Bericht. Parmitano will sichergehen, dass er dieses Erlebnis zu hundert Prozent aufsaugen kann und sich an alles erinnern wird. Das wird er. Aber aus anderen Gründen als gedacht.

Dann spürt er etwas, was da nicht sein sollte

Da draußen sollen sie an der Raumstation ein paar Kabel verbinden und Wartungsarbeiten durchführen. Sie haben an zwei verschiedenen Stellen zu tun, sind getrennt voneinander, aber kommen gut voran. Die Bodenstation informiert Parmitano, dass er seinem Plan bereits 45 Minuten voraus ist.

Dann spürt er, dass etwas nicht stimmt. Da ist etwas in seinem Helm. Feuchtigkeit. Parmitano spürt Wasser in seinem Nacken. Kein Schweiß, sondern ein Blase, wie sie sich unweigerlich in der Schwerelosigkeit bildet. Er dreht seinen Kopf von links nach rechts, um sicherzugehen, dass sein erster Eindruck wirklich zutrifft. Wasser.

Wasser vor den Ohren und Augen

"Mit übermenschlicher Anstrengung zwinge ich mich, meine Beobachtung an Houston durchzugeben, wohl wissend, dass das das Ende des Außeneinsatzes nach sich ziehen könnte", schreibt er nun. Cassidy kommt dazu und schaut, ob er etwas in dem Helm seines Partners entdecken kann. Sie überlegen. Was ist das für ein Defekt? Kommt die Flüssigkeit aus dem Trinkwasserbehälter? Schweiß? Parmitano registriert, dass die Blase größer wird. Aus Houston kommt die Anweisung, den Einsatz zu beenden und zur Luftschleuse zurückzukehren.

Dem 36-Jährigen wird bewusst, dass er sich in Lebensgefahr befindet, allein im All, 400.000 Meter über der Erdoberfläche.
Der Helm füllt sich zunehmend, das Wasser beeinträchtigt nun auch Parmitanos Orientierungsvermögen. Er fühlt, wie sich die Polster seiner Kopfhörer damit vollsaugen, Funkkontakt und Kommunikation werden zum Problem. Und mehr noch: Parmitano kann auf dem Rückweg nichts mehr sehen. Das Wasser bedeckt von innen das Visier des Helms und erschwert die Sicht. Als auch noch die Sonne untergeht kann er gar nichts mehr sehen.

Alles wie durch einen Schleier

Die Lage wird immer bedrohlicher. Parmitano weiß nicht mehr, wie er zurückfindet und nun bedeckt auch noch Wasser seine Nase. Schnell stellt er fest, dass Kopfschütteln die Lage nur noch schlimmer macht. Er muss mit ansehen, wie sich der obere Bereich des Helms zunehmend mit Wasser füllt. Es bewegt sich, wie es will, In der Schwerelosigkeit ist er dagegen machtlos. "Ich weiß nicht, ob ich beim nächsten Atemzug Luft oder Flüssigkeit in meinen Lungen haben werde", realisiert er.

Die Situation ist lebensgefährlich. Parmitano weiß, dass er kühlen Kopf behalten muss. Und das, obwohl, er nur wenige Zentimter weit sehen und noch nicht einmal die Griffe an der Raumstation erkennen kann, an denen er sich sonst orientiert.

Auch die Kommunikation kommt zum Erliegen. Was sein Partner Chris sagt, hört er nur noch wie durch einen Schleier. Er ist allein. Jetzt geht es nur noch darum, so schnell wie möglich zurückzukommen, irgendwie. Keiner kann sagen, wie viel Zeit ihm bleibt. Panik unterdrückt er. Stattdessen erinnert er sich an das Sicherheitskabel, das ihn mit der Station verbindet. Mit seiner Hilfe kann er zur Schleuse finden.

Wie eine Ewigkeit

Die Angst vor dem Wasser begleitet jeden Atemzug, er macht sich Gedanken, wie er die Flüssigkeiten aus seinem Mund befördern kann, wenn er sie einsaugen sollte. Die kurze Distanz fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Schließlich schaffte es Parmitano. Mit gewaltiger Erleichterung sieht er durch den Wasservorhang vor seinen Augen die Tür der Druckkammer auftauchen. Die letzte Anweisung, die er wahrnimmt, ist die Aufforderung sofort hineinzugehen und nicht mehr auf Chris zu warten. Seine Augen hält er zu diesem Zeitpunkt geschlossen, Nase und Ohren sind mit Wasser vollgelaufen. Er spürt eine Vibration hinter sich, das muss Chris sein, der die Tür der Luke schließt. Der Druckausgleich beginnt und Parmitano weiß, dass er nun im Notfall den Helm abnehmen kann. Gerettet. Chris drückt seine Hand.

Nach einigen Minuten in der Kammer öffnet sich endlich die Innentür und eine Kollegin nimmt ihm den Helm ab. "Fjodor und Pawel reichen mir sofort ein Handtuch und ich bedanke mich, ohne zu hören, was sie sagen, weil meine Ohren und Nase noch immer voller Wasser sind", beendet er seinen Bericht. Der Weltraum sei eine raues, unwirtliches Grenzgebiet. Und wir nur Entdecker, nicht Siedler. "Die Fähigkeiten unserer Ingenieure und die Technologie, die uns umgibt, lassen die Dinge einfach erscheinen — aber sie sind es nicht. Vielleicht vergessen wir das manchmal", lauten seine letzten Zeilen in seinem Bericht.

Alle Weltraumspaziergänge der USA abgesagt

Wie es zu dem Leck kam, ist nach wie vor unklar. Die US-Raumfahrtbehörde NASA leitete zwei Untersuchungen ein; vermutet wird ein Defekt im Kühlsystem des Anzugs. Bis die Ursache gefunden ist, werden alle Weltraumspaziergänge der USA ausgesetzt. Experten der NASA sagten, Parmitano hätte ertrinken können, wenn er länger im Anzug geblieben wäre.
Parmitano ist der erste Italiener, der sich frei im All bewegt hat. Der gefährliche Vorfall ereignete sich während des zweiten Weltraumspaziergangs seiner Karriere. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und soll im November auf die Erde zurückkehren.

(pst)
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