Sprechstunde Stefan Ewerbeck Wie die Zähne Rheuma beeinflussen

Patienten, die an einer Polyarthritis erkrankt sind, leiden oft an Entzündungen des Zahnfleischs.

Unsere Leserin Beate R. (46) aus Düsseldorf fragt: "Seit ca. einem Jahr leide ich an einer entzündlichen Gelenkerkrankung und soll jetzt starke Medikamente einnehmen. Vor einigen Jahren habe ich gelesen, dass entzündete Zähne und Zahnwurzeln Rheuma verursachen können. Sollte ich nicht zuerst meine Zähne sanieren lassen, um die Ursache zu bekämpfen, bevor ich eine Rheumabehandlung beginne ?"

Stefan Ewerbeck Die Theorie, dass in Zähnen und Zahnfleisch die Ursache rheumatischer Erkrankungen zu finden sei, ist bereits sehr alt. Bereits Hippokrates hat vor über 2000 Jahren vermutet, dass Eiterherde an den Zähnen und im Mund Rheuma auslösen und dass eine Sanierung dieser Infektion auch den Rheumatismus ausheilt. Im vergangenen Jahrhundert wurde diese Theorie durch die Entdeckung des "rheumatischen Fiebers" bestärkt. Bei dieser Erkrankung kommt es nach einer Streptokokken-Infektion (meist der Mundhöhle) zu einer Entzündung der großen Gelenke mit hohem Fieber und typischem Hautausschlag. Diese Erkrankung ist in Deutschland glücklicherweise nur noch extrem selten, da praktisch alle schweren bakteriellen Infekte antibiotisch behandelt werden. Heute ist man bei der Ursachenforschung von rheumatischen Erkrankungen sehr viel weiter: Es braucht das Zusammenspiel von genetischen Faktoren, eine Störung des Immunsystems, möglicherweise auch viraler oder bakterieller Erreger, die im Organismus eine überschießende Immunantwort auslösen und einen Übergang von der Infektion in eine Auto-Immunreaktion ermöglichen. Dabei fällt auf, dass es erstaunliche Parallelen gibt zwischen entzündlichen Gelenkerkrankungen und einer chronisch entzündlichen Zahnfleischerkrankung, der sogenannten Paradontitis. Ein wichtiger Erreger der Zahnfleischentzündung ist das Bakterium Orphyromonas gingivalis. Über eine Reaktionskette ergibt sich eine direkte Einwirkung auf die chronische Polyarthritis. Das Bakterium produziert ein Enzym (PAD), das die Bildung von Antikörpern fördert, die sehr spezifisch für die chronische Polyarthritis sind. Diese Antikörper heißen in der Wissenschaft CCP-AK. 50 Prozent der Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis haben gleichzeitig eine schwere Paradontal-Erkrankung; ein akuter Schub der Zahnfleischentzündung kann gleichzeitig zu einer Verschlechterung des Gelenkstatus führen. Umgekehrt scheint eine Zahnreinigung plus Infektionsbehandlung zu einer Linderung der Gelenkschmerzen und zur Reduktion der geschwollenen Gelenke und der Morgensteifigkeit zu führen. Dies ist verbunden mit einer nachweislichen Abnahme der Konzentration krankmachender Entzündungsbotenstoffen im Blut. Auch eine bereits laufende antirheumatische medikamentöse Therapie ist effektiver, wenn keine Paradontitis vorliegt. Deshalb mein persönlicher Ratschlag: zweimal täglich Zähneputzen, besonders abends, danach nichts mehr essen. Sorgfältige Mundpflege (mit Zahnseide oder Bürstchen), eventuell zusätzlich Zahnreinigung; zweimal pro Jahr professionelle Zahnreinigung und regelmäßige Kontrolle durch den Zahnarzt – das kann für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen nur von Vorteil sein. Für alle anderen Menschen natürlich auch.

Stefan Ewerbeck ist Chefarzt für Innere Medizin/Rheumatologie am Rheinischen Rheuma-Zentrum in Meerbusch-Lank.

(RP)
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