Essen Wie Hitler Gast auf Villa Hügel wurde

Essen · Der einstige Familiensitz der Unternehmer-Familie Krupp zieht seit 140 Jahren Besucher in seinen Bann. Auch Adolf Hitler war mehrmals zu Gast und suchte dort die Gunst des Stahlgiganten – denn er brauchte Krupp für seine Kriegspläne.

 Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und seine Frau Bertha führen Hitler durch den Park von Villa Hügel. Heute ist der Komplex mit Villa, Nebengebäuden und Gärten Sitz der "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung".

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und seine Frau Bertha führen Hitler durch den Park von Villa Hügel. Heute ist der Komplex mit Villa, Nebengebäuden und Gärten Sitz der "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung".

Foto: Bauer, BPK / Montage: Krebs, Radowski

Die Wagenkolonne, die mit zügigem Tempo vor das Portal der Villa Hügel fährt, bringt einen ungern gesehenen Gast. Es ist ein sonniger Tag im September 1935, als der Mann aussteigt, den sie auf dem Hügel eigentlich nie wollten: Adolf Hitler, der Mann, der Europa ins Verderben stürzen sollte. Und der in Essen das sucht, was er dazu braucht.

Hitler steigt unter dem Vordach des monumentalen Krupp'schen Familiensitzes aus. Er lächelt zufrieden, als ihm der Hausherr die Hand zur Begrüßung reicht. Endlich hat er es auf den Hügel geschafft, sozusagen eine Privataudienz bei Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Bei dem Mann, der in seinem Gussstahlwerk die Waffen schmieden soll, mit denen deutsche Truppen die Welt erobern sollen.

Es wird ein behaglicher Besuch für Hitler. Man spaziert im opulenten Park. Hitler in der Mitte, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der Chef des Konzerns, zu seiner Rechten. Und Bertha Krupp, die Gattin und Chefin von Gustav, zu seiner Linken. Beim Mittagessen betreibt Hitler feinste Konversation, gibt sich bürgerlich, schmeichelt sich regelrecht ein. "So weit ich ihn gesehen habe, war er sehr zurückhaltend. Man konnte sich sogar mit ihm unterhalten", sagt der Sohn des Hauses und spätere Werksleiter Alfried Krupp 20 Jahre später in einem Interview. "Und er hat immer wieder betont, er wollte keinen Krieg." Eine Täuschung.

Drei weitere Besuche Hitlers auf dem Hügel sind protokolliert. 1934, bei seinem ersten Besuch in der Essener Hauptverwaltung, bleibt ihm der Einlass ins Innere der Familie noch verwehrt. "Dieser Herr kommt mir nicht auf den Hügel", zürnt Bertha Krupp, die Firmenerbin, der Erinnerung ihres Sohnes Alfried zufolge. Für sie ist Hitler in erster Linie ein ordinärer Prolet. Ihr Gatte fügt sich. "Auch Gustav mochte die Nazis nicht. Das war eine Bewegung, sie war anti-bürgerlich, brutal, unordentlich, emotional, unberechenbar – also quasi alles das, was ein Mensch wie Gustav vollkommen ablehnte", sagt seine Enkelin Diana Maria Fritz. Zu diesem Zeitpunkt werden in dem Essener Gussstahlwerk Milchkannen und Registrierkassen, höchstens noch Bagger für den Bergbau gefertigt. Der Versailler Vertrag verbietet die Aufrüstung. Doch das ändert sich.

Im Geschäftsbericht für die Jahre 1934/35 ist ein Umsatz von 488 Millionen Reichsmark vermerkt – und dieser Satz: "Erstmalig nach jahrelanger Unterbrechung haben wir auch wieder größere Aufträge der deutschen Wehrmacht ausgeführt und sind damit zu einer ehrenvollen Tradition unseres Hauses zurückgekehrt." In den Essener Hochöfen beginnt die Wiederbewaffnung. Bis Kriegsende sind es vor allem Geschütze, Flugabwehrkanonen (Flaks), Panzer – und das einzigartige Riesengeschütz "Dora", ein Traum Hitlers. Es hat ein Kaliber von 80 Zentimetern, das Rohr ist 40 Meter lang. Ein gewaltiges Kriegsvehikel, über dessen Tauglichkeit Wehrmachtgeneräle indes spotten: "Schießen ja, treffen nein." Der Umsatz des Stahlkolosses steigt kontinuierlich. Bis Kriegsbeginn hat er sich in nur fünf Jahren auf eine Milliarde Reichsmark verdoppelt. Die Gewinne sind satt, auf dem Hügel herrscht Zufriedenheit. "Hitler war ein begeisterter Technik-Freak, er hat weniger mit Gustav Krupp als mit Erich Müller, dem Kanonenexperten des Hauses Krupp, intensive Fachgespräche geführt", sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser.

Wie groß die Begeisterung Gustav Krupps für das Nazi-Regime wirklich war, darüber gehen die Meinungen der Historiker auseinander. Anders als Stahl-Konkurrent Fritz Thyssen, der Hitler erst finanziell unterstützt, nach Kriegsausbruch aber einen wütenden Brief verfasst und dafür mit dem KZ bezahlt, ist Krupp ein funktionierendes Zahnrad in der deutschen Kriegs-Produktion. 1940 bekommt Krupp die Auszeichnung als "nationalsozialistischer Musterbetrieb". In Reden bei offiziellen Anlässen spricht Gustav Krupp von Bohlen und Halbach offen von Hitlers "staatsmännischem Genie". Historiker Abelshauser kommt zu dem Urteil: "Spätestens mit dem Beginn des Krieges ist für Gustav Krupp eine distanzierte Haltung nicht mehr möglich. Er weiß, dass es letztendlich um das Bestehen des Vaterlandes geht." Sein Sohn Alfried sollte später dafür bezahlen.

Im Winter 1943 verschlechtert sich der Gesundheitszustand Gustav Krupps rapide, er zieht sich mit seiner Frau auf den Familiensitz in Salzburg zurück. Als Nachfolger hat er Alfried vorgesehen, doch es gibt ein Problem: Erblasserin Bertha Krupp hat sechs Kinder, und alle sind erbberechtigt. Zudem ist die Firma mit 190 000 Arbeitern und Angestellten eine Aktiengesellschaft. Die Gefahr, dass der Rüstungskonzern zu einem industriellen Erbhof wird, ist groß. Gustav Krupp wendet sich an Hitler, und der Diktator erfüllt ihm gerne den Wunsch und erlässt die "Lex Krupp". Mit einem Handstreich wird der Stahlriese in eine Einzelfirma umgewandelt. Der neue alleinige Besitzer ist Alfried Krupp, der nun auch den Zusatz von Bohlen und Halbach führen darf. Aber Entscheidungsgewalt hat er unter dem neuen Rüstungsminister Albert Speer, der mit dem Rüstungsengagement Krupps nicht ganz zufrieden ist, nicht.

Im April 1945 fährt wieder eine Wagenkolonne die Villa Hügel an. Die Alliierten kommen mit dem Auftrag, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zu verhaften. Alfried nimmt auf dem Rücksitz eines Jeeps Platz, bewacht mit Maschinengewehren. Er sieht fast erleichtert aus, als er Villa Hügel verlässt.

In der nächsten Folge unserer Serie am Samstag geht es um die Bundesgartenschau 1987 in Düsseldorf.

(RP)
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