Hans Georg Classen Wie sich ältere Menschen gesünder ernähren

Vollkornprodukte, Sauerkraut und ein Glas Milch für den Kalziumhaushalt können Mangelzustände verhindern.

düsseldorf Essen ist lebensnotwendig – doch vor allem ältere Menschen speisen oft nicht nach diesem Grundsatz: Auf den Tisch kommen zu viele überflüssige Lebensmittel mit "leeren Kalorien". Wie sich Senioren besser ernähren können, erklärt der Ernährungswissenschaftler Professor Hans Georg Classen.

Erhebungen wie die Nationale Verzehrstudie offenbaren immer wieder, dass viele Ältere sich schlecht, falsch oder unzureichend ernähren oder ernährt werden. Wie aussagekräftig sind solche Ergebnisse?

Classen Wenn wir von älteren Menschen sprechen, sollten wir uns erst einmal auf diejenigen einigen, die ein biologisches Alter von etwa 65 Jahren erreicht haben. Und da zeigen sich Unterschiede: Während 65 Prozent dieser Menschen daheim oder in ihrer Familie wohnen und speisen, leben und essen 35 Prozent in Einrichtungen der Altenpflege. Nur von letzteren liegen uns genauere Daten vor – über das Ernährungsverhalten der Menschen, die zu Hause leben, gibt es lediglich ein ungefähres Wissen und Schätzungen aus Interviews.

Verändert sich die Nahrungsaufnahme mit den Jahren?

Classen Ja– dies hängt allerdings in vielen Fällen mit körperlichen Gebrechen zusammen. Ältere Menschen haben häufig Kau- und Schluckbeschwerden, ihr Mund ist trocken und außerdem sind ihre Zähne nicht immer im besten Zustand. Das führt dazu, dass sie ungern in Obst beißen, wie zum Beispiel in einen Apfel mit harter Schale. Körner im Brot bereiten ähnliche Probleme wie faseriges Fleisch, das klein geschnitten werden müsste. Zudem leidet man mit der Zeit vermehrt an Verstopfung. So kommt es, dass Ältere gesunde Lebensmittel meiden und lieber zucker- oder fetthaltige Mahlzeiten mit leeren Kalorien zu sich nehmen. Darüber hinaus trinken sie zu wenig, bevorzugen stattdessen oft kalorienreichen Alkohol. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass die meisten Medikamente schlucken – was die Empfehlungen für die Nahrungszufuhr deutlich verändern kann.

Auf welche Weise wirken sich Medikamente auf die Ernährung aus?

Classen Betrachten wir die häufig verschriebenen Medikamente: Die meisten blutdrucksenkenden Diuretika schwemmen nicht nur, wie gewünscht, Natrium aus dem Körper, sondern auch Kalium und Magnesium. Also erhöht sich hier der Bedarf. Diabetiker, die das Medikament Metformin nehmen, wissen zum Beispiel meist nicht, dass es die Aufnahme von Vitamin B 12 verringert. Und weil viele Menschen Schmerzmittel schlucken, etwa mit dem Wirkstoff Diclofenac, sind sie insgesamt etwas schläfriger und nicht mehr so aufmerksam – auch, was ihre Ernährung angeht.

Wie können Mangelzustände erkannt und verhindert werden?

Classen Magnesium-Mangel äußert sich beispielsweise in Muskelzuckungen oder Wadenkrämpfen. Einen Vitamin-B-12-Mangel – der bei älteren Menschen häufig ist – kann man an allgemeiner Leistungsschwäche und Konzentrationsstörungen erkennen. Dieses Vitamin ist fast ausschließlich in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten und in solchen, die mithilfe von Gärung hergestellt werden, also etwa in Sauerkraut. Magnesium findet sich in Vollkornprodukten und Kalzium in Milch, Milchprodukten und Mineralwasser.

Sind in manchen Fällen auch Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?

Classen Ja. Das gilt etwa für den Fall des viel diskutierten Vitamin D, das vom Körper in der Regel nicht ausreichend gebildet wird. Dazu und insgesamt zur möglichen Behandlung von Mangelzuständen sollten der Hausarzt und die Diätassistentin der Praxis um Rat gefragt werden. Der Mediziner kann bei einer kostenpflichtigen Blutuntersuchung feststellen, mit welchen Nährstoffen man sich zusätzlich versorgen sollte. Die Diätassistentin kann auf Anfrage auch einen kompletten, individuellen Ernährungsplan erstellen.

Sollte man ab einem bestimmten Alter anders essen als früher?

Classen In der Tat ist es so, dass der Energiebedarf mit den Jahren abnimmt. Denn der Muskelanteil im Körper schwindet und der Fettanteil steigt an. So benötigt ein 75-Jähriger 20 bis 35 Prozent weniger Energie als ein 25-Jähriger, und er muss deshalb auch fettarmer essen. Nährstoffe oder Biofaktoren wie Vitamine oder Mineralstoffe sind allerdings das A und O, die brauchen beide in gleicher Menge. Deshalb sollten die Älteren besonders darauf achten, Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte auf den Speiseplan zu setzen.

Welche können das sein?

Classen Vor allem solche, die reich an Ballaststoffen und komplexen Kohlehydraten sind. Dazu gehören neben Obst auch Getreide- oder Vollkornprodukte, Naturreis, Kartoffeln und Gemüse. Fettarme Milchprodukte und pflanzliche Öle mit ungesättigten Fettsäuren wie hochwertiges Olivenöl sind ebenso nährstoffreich wie fette Meeresfische ohne Gräten. Eine gute Protein- und Cholesterinquelle stellen Rühr- oder Spiegelei dar – allerdings muss man hier bei der Zubereitung auf die Hygiene achten, um die Gefahr von Salmonellenerkrankungen zu verhindern.

Wie sollte eine optimale Mahlzeit zusammengesetzt sein?

Classen Ich empfehle einmal am Tag eine warme Mahlzeit mit viel Gemüse, das je nach Gusto mit guter Brühe und einem kleinen Stück Fleisch angereichert werden kann. Ein Stück Obst gehört dazu wie eine Portion Milch, Joghurt, Quark oder Käse – alles immer mager. Ebenso eine Scheibe Vollkornbrot, auch wenn diese nicht gern gegessen wird. Ein Glas trockener Wein ist erlaubt. Die ideale Zusammensetzung stellt die aid-Ernährungspyramide (Grafik) dar, doch sie kann nur angestrebt und nicht immer erreicht werden. Wichtig außerdem: Mindestens zwei Kilometer am Tag bewegen.

Sollen man lieber häufiger kleine Portionen essen?

Classen Fünf kleine Portionen pro Tag mit hoher Nährstoffdichte sind sinnvoll. Zwei Mal frühstücken, am Mittag, dann nachmittags und abends essen. Zum zweiten Frühstück kann es beispielsweise Birchermüsli, eingeweicht in viel Milch, geben.

Gibt es Erkenntnisse zur gesunden Ernährung von Senioren ?

Classen In der Tat haben wir jetzt neue Studienergebnisse zu der sogenannten mediterranen Kost mit viel Gemüse. Sie scheint sehr günstige Effekte zu haben, weil sie dem Körper viel Nitrat zuführt. Dieses wird im Darm verwertet und findet sich danach zu etwa 20 Prozent im Speichel. In der Mundhöhle wird Nitrat mikrobiell zu Nitrit reduziert. Wenn dies durch den Kreislauf aufgenommen wird, sorgt es dafür, dass die Gefäße sich weiten und ein erhöhter Blutdruck gesenkt wird. Insgesamt gilt als Empfehlung von uns Wissenschaftlern, mit gesunder Ernährung – etwa durch mediterrane Kost – nicht erst im Alter zu beginnen, wenn die Beschwerden schon da sind. Der bekannte Physiologe Albrecht Fleckenstein hat in diesem Zusammenhang den Satz geprägt: "Magnesium gegen Gefäßverkalkung sollten Sie immer reichlich zu sich nehmen, nicht erst, wenn der Kalk schon aus der Hose rieselt."

NATASCHA PLANKERMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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