Internetkanal "YouNow" Liveshow aus dem Kinderzimmer

Düsseldorf · Auf dem Internetkanal "YouNow" lassen sich Teenager filmen und kommunizieren in Echtzeit mit anderen Nutzern. Kritiker befürchten sexuelle Belästigung und Mobbing. Nun räumt auch der Dienstleister Probleme bei der Kontrolle ein.

YouNow: Liveshow aus dem Kinderzimmer
Foto: Younow Screenshot

Maria und Nina (alle Namen geändert) sitzen auf ihrem Bett im Kinderzimmer und sind schon seit 46 Minuten online. 372 Menschen schauen den beiden Teenagern zu und stellen Fragen: Wie alt bist du? Hast du einen Freund? Schminkst du dich? Einige Beobachter machen Komplimente. Maria, die Dunkelhaarige, habe einen tollen Bauchnabel, die blonde Nina schöne Augen. Die beiden Mädchen grinsen und folgen auch Aufforderungen, ihren ganzen Körper vor einem Spiegel zu zeigen. Tolle Figur, lobt ein User, sie sollen sich doch auch mal umdrehen. Ein anderer meint, Nina habe O-Beine.

Maria hat fast 3000 Fans in ihrem "YouNow"-Profil. Die Website und ihre Apps sind bei Jugendlichen beliebt, die Gespräche und Klamauk in Echtzeit ins Netz stellen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) warnte jüngst vor dem Streamingdienst - sie sorgt sich, dass Jugendliche zu viel von sich preisgeben und Opfer von Mobbing und sexueller Belästigung werden.

Auch Maria und Nina werden aufgefordert, doch mal ihre Oberschenkel zu zeigen. Nadja, ein blondes Mädchen aus der Schweiz, wird gebeten, ein Top anzuziehen oder einen Badeanzug. Sie singt Ed Sheerans "I See Fire" zur Musik ihres iPhones, viele sind der Meinung, dass sie eine tolle Stimme habe und es bei der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" mindestens in den Recall schaffe.

"YouNow" wurde 2011 von Adi Sideman in New York gegründet. Er wollte allen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Talente einem Live-Publikum zu präsentieren. In Deutschland hat es nach den USA die zweitmeisten Nutzer. Nach Angaben des Unternehmens liefen seit der Gründung 16 Millionen Sessions im deutschsprachigen Raum. Wer einen eigenen Account eröffnet, muss offiziell 13 Jahre alt sein. Beleidigungen, Mobbing, Alkohol, Drogen und Nacktheit sind verboten, ebenso wie Aufforderungen, diese Regeln zu brechen. Nun hat allerdings YouNow eingeräumt, dass es "insbesondere durch das schnelle Wachstum der Nutzerschaft in Deutschland Ende 2014 vereinzelt Schwierigkeiten bei der durchgängigen Überwachung und Ahndung von missbräuchlicher Nutzung" gab. Deutschsprachige Moderatoren würden die Einhaltung der Regeln überwachen, zudem gebe es freiwillige Aufpasser, die Verstöße melden. In den Kommentaren geht es jedoch häufig darum, den Bauch oder die Beine zu zeigen. Einige sexuelle Anspielungen verstehen die Jugendlichen gar nicht, sie sind zu naiv oder unerfahren. Bei Lena und ihrer Freundin schaltet sich tatsächlich nach 25 Minuten ein Moderator ein, der in dicken roten Buchstaben droht: "Wenn hier jemand noch mal nach dem Bauchnabel oder Ähnlichem fragt, wird er gebannt."

Wer sich die Live-Shows aus deutschen Kinderzimmern ansieht, schaut Sechst- und Siebtklässlern meist beim Nichtstun zu: Nach der Schule sitzen sie allein in ihrem Zimmer, haben keine Lust, Chemie oder Französisch zu lernen, und schalten stattdessen die Kamera ein. Bei "YouNow" bekommen sie Komplimente und Aufmerksamkeit, und wenn sie jemand bittet, die Haare zu einem Pferdeschwanz zu binden, machen sie das. Der Sendeschluss der Teenie-Show zur Selbstdarstellung und Selbstbestätigung wird oft dadurch bestimmt, dass am nächsten Tag eine Deutscharbeit geschrieben wird oder die Mutter um 18 Uhr zum Abendbrot ruft.

Ob Nadja auch bei Facebook sei, wird die blonde Jugendliche immer wieder gefragt. "Ne, da bin ich nicht", sagt sie, "ich vergeude meine Zeit nicht mit solch einem Mist."

(RP)
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